Robert Merle: Die geschützten Männer

Robert Merles Dystopie „Die geschützten Männer“.

Ein Rezension von Rob Randall

In Robert Merles bekannten Roman Die geschützten Männer kann der Leser das Entstehen einer dystopischen Gesellschaft in Form einer Gynokratie verfolgen. Ursache für die gesellschaftlichen Veränderungen ist ein Virus namens Enzephalitis 16, welcher die zeugungsfähige männliche Bevölkerung der Erde tötet. So weit, so gut – bzw. katastrophal.

War in in seinem beeindruckenden Roman Malevil ein Atomkrieg als Katastrophenszenario der genretypische „Cut“ mit unserer Welt, um Veränderungen zwischenmenschlicher Beziehungen in einer veränderten Umwelt literarisch beobachten zu können, so entwirft Merle 1974 in Die geschützten Männer eine Pandemie, welche umfassende gesellschaftliche Veränderungen einleitet, über welche der Erzähler nun detailliert berichteten kann.

Solide: Der Inhalt von „Die geschützten Männer“

Und das tut Dr. Martinelli in seinem Bericht ex post auch in jeglicher Hinsicht. Als einer der wenigen überlebenden zeugungsfähigen Männer wird er nach der Übernahme der Macht durch die Frauen mit anderen Wissenschaftlern interniert, um an einem Impfstoff gegen die Seuche zu arbeiten.

Was ihm zu Beginn noch als „Schutz“ erscheint, wirkt zunehmend als Gefangenschaft. Aus der Perspektive eines zum Objekt von Macht- (und sexuellen) Interessen seiner weiblichen Umwelt gewordenen Mannes beschreibt Ralph Martinelli die persönlichen Motive und charakterlichen Entwicklungen wie auch die umwälzenden gesellschaftlichen Veränderungen, welche unter der Präsidentschaft einer radikalen Feministin zur vollständigen Unterdrückung des Mannes führen. Nur reserviert begegnet Martinelli seinen zu ihrem eigenen Schutz vor dem Virus kastrierten Kollegen bzw. Geschlechtsgenossen, welche nun in der neuen Hierarchie einen höheren gesellschaftlichen Rang als er selbst einnehmen. Nicht ohne spöttische Bemerkungen registriert er sowohl die drakonischen Strafen, welche Männer wie auch Frauen treffen, die sexuelle Beziehungen außerhalb der Ehe unterhalten als auch Strafversetzungen des weiblichen Wachpersonals für den Fall des Nachweises eines generellen sexuellen Interesses an Männern. Und als er später feststellt, dass unter den Frauen offenbar zunehmend der Widerstand gegen diese Form der Unterdrückung organisiert wird, könnte er fast erleichtert sein, wenn er nicht auch erfahren müsste, dass zum einen die anderen Forscherteams in dem Lager an etwas Bedrohlichem arbeiten und zum anderen kein wirkliches Interesse an seinem Impfstoff – und damit der Rettung der Männer – von Seiten der Regierung besteht.

Auffällig: Leseprobleme

Von den bisher angesprochene Merkmalen des Romans ist bisher keines besonders originell. Keines besonders den Rezipienten herausfordernd. Keines davon erklärt die Probleme dieses so oft so hoch gelobten Werks. Dabei: Eigentlich hat Merles Roman alles, was ein ein guter Roman braucht. Die geschützten Männer enttäuscht aber trotzdem. Woran liegt das?

Einer der Gründe dafür ist der Erzähler: Aufgrund seiner Lage ist Martinelli zur Beobachtung und – wenn ihm der Spielraum bleibt – bloßen Reaktion verdammt. Konzeptionell passt das zwar, trägt aber auch dazu bei, dass die beobachtenden Ausführungen und detaillierten Reflexionen des Erzählers noch langatmiger erscheinen, als sie ohnehin schon sind.

Hinzu kommt: Martinelli ist – so italienisch der Name auch wirken mag und so groß sein Interesse am anderen (von ihm geradezu sexistisch stereotyp über Äußerlichkeiten beschriebenen) Geschlecht auch sein mag – kein typischer pater familias der 70er Jahre. Er zieht seinen Sohn Dave nur widerwillig alleine groß, da er sich damit abfinden muss, eine politische Karrierefrau geheiratet zu haben, die ihn nur zur Erfüllung der ehelichen Pflichten am Wochenende besucht. Martinelli ist weder vor, während oder nach der Pandemie Planer seines Lebens. Das gilt übrigens auch für die „Wahl“ der Frauen, mit denen er intim wird. Zur Identifikationsfigur eignet dieser Berichterstatter sich überhaupt nicht. Vielleicht soll man über ihn und die ganze Geschichte lachen -, aber mir ist das nicht gelungen:

Nachdem sie mich wie ein Federvieh mit einem Ring versehen hat und nach diesem Kuss wieder ruhiger geworden ist, stürzt sie sich auf die Krabben (auch mein Anteil wird draufgehen) und vertraut mir die großen Pläne an, die sie für mich geschmiedet hat.

ROBERT MERLE, DIE GESCHÜTZTEN MÄNNER, BERLIN, WEIMAR, 1979, S. 423.

Offensichtlich war das von Merle aber so geplant. Die geschützten Männer knöpft sich satirisch den radikalen Feminismus der 70er Jahre vor und will ihn ins Groteske zu Ende denken und damit dem Spott der Leserschaft aussetzen. Das ist ernst gemeint. Dazu überzeichnet der Autor dann humoristisch Figuren und Handlungselemente.

Anita, was soll ich… tun, frage ich. Mich zu Füßen werfen? Mich im Staube winden? Sie legt ihre Hand auf meine rechte und sagt mit einer Herzlichkeit, die an der Grenze der Herablassung liegt: „Du bist charmant Ralph, das ist deine einzige Entschuldigung.“ Dabei verschlingt sie einen Krapfen.

ROBERT MERLE, DIE GESCHÜTZTEN MÄNNER, BERLIN, WEIMAR, 1979, S. 34.

Hier zeigt sich ein schon weiteres Problem: Man kann die oft plumpen satirischen Überzeichnungen lustig finden – wird man oft aber nicht. Humorvolle Momente, welche den Leser zum Lachen bewegen wären wenigstens eine Entschädigung für die übertriebene Figurengestaltung und die Längen in den Ausführungen des Erzählers gewesen. Das mag dem Zeitgeist geschuldet sein:

Sobald der Ärger nachlässt, regt ein Hunger den anderen an, sie verwüstet mein Bett und plündert meinen Kühlschrank. Ich bin keineswegs erstaunt, sie wenige Minuten später in meiner Kochnische zu finden, wo sie Eier mit Schinken gebraten hat. Ich nehme die Gelegenheit wahr, da sie den Mund voll hat und zuhören muss, um erneut mit allem Nachdruck und mit Leidenschaft für die Dringlichkeit der Maßnahmen, die ich fordere, zu plädieren. Und als sie mit dem Essen fertig ist, folge ich ihr, weiterplädierend, bis ins Schlafzimmer.

Robert Merle, Die geschützten Männer, Berlin, Weimar, 1979, S. 25.

Ein bisschen erinnert Merles Roman also an die Sketche aus den 70er Jahren: Man kann gerade noch ahnen, warum früher gelacht wurde.

Zu Recht stellt Rupert Schwarz in seiner Rezension fest, dass sich der Roman zwischen ernsthafter Dystopie und Farce bewege. Das ist eine Herausforderung bei der Rezeption. Immer wieder ist der Leser herausgefordert, zweierlei zu überlegen: zum ersten, ob das gerade Gelesene eigentlich humoristisch gemeint war, und zum zweiten – wenn ja – ob sich nicht doch eine ernsthafte Botschaft des Autores dahinter verbirgt. Immerhin ist ja die Kritik am Feminismus erst gemeint – oder nicht?

Dass am Ende trotz Happy End kein gerechter Ausgleich zwischen den Geschlechtern mehr hergestellt wird, gehört eher zu den Stärken des Romans. Dass der Vater in rechtlicher und erzieherischer Hinsicht zuletzt als Faktor in Familie ausgeschaltet und die Versorgung durch den Staat übernommen wird, greift die Argumentation der Manosphere, die ihre Wurzeln in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts hat, auf. Hahaha.

Das Ende des Romans weist unter diesem Gesichtspunkt durchaus eine Warnfunktion auf – und scheint ernst genommen werden zu wollen – ganz sicher kann man sich da nach 445 Seiten aber nicht mehr sein.

Fazit

Trotz eines soliden Entwurfes und interessanten Settings kann der Roman Die geschützten Männer aus verschiedenen Gründen nicht überzeugen. Das ist wirklich schade, denn Merles Postapokalypse Malevil oder die Bombe beeindruckt. Letzterer ist eindeutig der bessere dieser beiden Romane und weniger stark gealtert. Wer Gefallen an Die geschützten Männer haben will, muss die in ihren Eigenschaften bis ins Schablonenhafte grotesk übersteigerten Figuren und Handlungselemente als Entschädigung für das ausschweifende und Distanz schaffende Berichten des Erzählers zu goutieren wissen. Mir ist dieses nicht mehr gelungen.

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