Der gelungene Auftakt der Amtrak-Reihe: Patrick A. Tilleys postapokalyptischer Roman „Die Wolkenkrieger“ . Eine Rezension von Rob Randall
Schon 1983 erschien „Wolkenkrieger“ als erster Roman der insgesamt 6 Bände umfassenden Amtrak-Serie, die in den vor langer Zeit durch einen Nuklearkrieg zerstörten Vereinigten Staaten spielt. Patrick A. Tilleys Roman reiht sich damit ein in eine ganze Serie von apokalyptischen bzw. postapokalyptischen Werken, die in diesem Jahr, in welchem der Widerstand gegen den Nato-Doppelbeschluss von 1979 seinen Höhepunkt erreichte, herauskam. [1]
Wenn die Wege sich trennen…
In den Jahrhunderten nach dem nuklearen Holocaust haben sich die Wege der Menschen über und unter der Erde getrennt. Jene, deren Vorfahren unter der Erde Schutz gesucht haben, sind zwar vor den negativen gesundheitlichen Folgen der Strahlung geschützt gewesen, haben aber zu Überlebenszwecken eine durch und durch faschistische Gesellschaft entwickelt, welche von einer kleinen Elite, der „Ersten Familie“ gesteuert wird. Diese sogenannte „Föderation“ von Untergrundstädten hat den technischen Entwicklungsstand der Zeit vor der Katastrophe halten können und zieht ihre Daseinsberechtigung vor allem aus dem Plan, die Erdoberfläche dereinst wieder zu beherrschen – was die Unterwerfung, Ausbeutung oder Auslöschung der dortigen Bewohner allerdings miteinschließt.
Die Nachfahren jener Menschen, welche auf der Erdoberfläche überlebt haben, ziehen als technisch rückständige Stämme durch die radioaktiv verseuchten Regionen des Mittleren Westens der ehemaligen USA. Aufgrund der Strahlung sind die meisten von ihnen stark mutiert, fast durchgängig leiden sie unter einem auffällig zurückgebliebenen Erinnerungsvermögen, was auf lange Sicht auch das Überleben des im Zentrum des Romans stehenden Stammes der M´Calls bedroht. Allerdings sind die Mutationen nicht durchweg negativ: Hin und wieder erblicken sowohl Individuen das Licht der Welt, die äußerlich „gesund“ erscheinen“, als auch solche, deren Fähigkeiten jedes normale menschliche Maß übersteigen – kurz: Die auf magische Weise die Zukunft sehen, die Naturkräfte beherrschen oder als „Wortschmiede“ sehr gut Dinge in Erinnerung behalten können. Prophezeit ist den M’Calls durch die Wortschmiede seit Jahrhunderten schon die Ankunft eines Erlösers, welcher alle drei Fähigkeiten in sich vereint.
Einiges an Tilleys Szenario ist bekannt: Schon in K. H. Scheers Die Großen in der Tiefe aus dem Jahre 1961 haben sich nach einem Atomkrieg die Menschen über und unter der Erde unterschiedlich entwickelt. Dort allerdings wollen die Mitglieder der kollektivistischen Gesellschaft ihre „perfekten“ und hochtechnisierten Untergrundstädte eher nicht mehr verlassen – nur die nicht systemkonformen Helden tun dies und stoßen bei ihrer Flucht an der Oberfläche auf mutierte „primitive“ Menschen. [2] Die Idee, der technischen Überlegenheit der Föderation die magischen Kräfte der „Mutanten“ gegenüberzustellen und den Plot um den Helden als mögliche Erfüllung einer Prophezeiung zu gestalten, hat durchaus ihren Reiz.
…und das Schicksal sie wieder zusammenführt
Denn vielleicht ist der junge Föderations-Pilot Steve Brickmann genau dieser verheißene Retter. Zumindest erwarten die „Wortschmiede“ der M’Calls, Mr. Grey und Cadillac, – und somit auch der Leser – gespannt dessen Ankunft. Brickmann muss allerdings erst noch seinen Abschluss machen und seinen ersten Einsatz an der Oberfläche, der „Blauhimmelwelt“ absolvieren. Die erste Hälfte des Romans schildert nun genau dieses: Die Ausbildung und Indoktrination des jungen Soldaten durch eine militaristische Gesellschaft, in welcher das durch und durch fremdbestimmte Leben des Einzelnen nur im Dienst für die Gemeinschaft seinen Wert hat. Schon hier zeigen sich die Qualitäten von Tilleys Schreibstil: Obwohl der Autor sich Zeit für den detaillierten Entwurf einer dystopischen Gesellschaft nimmt, weist der Roman keine Längen auf. Tilley verknüpft den Entwurf kurzweilig mit der personalen Schilderung der Herausforderungen, welchen sich der Protagonist trotz seiner außergewöhnlichen Begabung vor seinem ersten Einsatz gegenübersieht. Das ist gelungenes Showing.
Und auch im weitere Verlauf kommt keine Langeweile auf: Brickmann wird zum Schutze der schwer gepanzerten Zügen, welche die Föderation im Kampf gegen die Stämme der Mutanten verwendet, an die an die Oberfläche versetzt. Bei einem der lobenswert wenigen Kämpfe, welche der Roman enthält, wird Brickmann durch die M’Calls gefangengenommen. Seinen Reiz entfaltet der zweite Teil des Romans letztlich von da an durch die Gestaltung der Beziehungen, welche sich zwischen dem Protagonisten und den anderen Figuren entwickeln sowie der Schilderung seiner Wahrnehmung der ihm fremdartig erscheinenden Gesellschaft und rätselhaften Charaktere: Ob nun Köpfe als Triumph auf Pfähle gespießt, Pfeile als Zeichen des Mutes durch den Mund gestochen oder auch über die Merkwürdigkeiten der Sprache des anderen diskutiert wird: Das unterhält gekonnt.
Fazit
Patrick A. Tilleys „Wolkenkrieger“ ist ein kurzweiliger und sehr unterhaltsamer Roman, der als Auftakt durchaus neugierig auf die folgenden Romane der Amtrak-Reihe macht:
Erste Familie
Eisenmeister
Blutiger Fluß
Todbringer
Erdendonner
Anmerkungen
[1] Zur Entwicklung des Genres und Hintergründen zum Atomkrieg in der Literatur gibt es mehr auf der Seite zum Atomkrieg-Motiv.
[2] Schon in H. G. Wells Zeitmaschine trennen sich die evolutionären Wege unserer Nachfahren über und unter der Erde. Sowohl Scheer als auch Wells verhandeln anhand der Trennung literarisch intensiv evolutionäre Theorien. Bei Tilley hingegen wird die evolutionäre Distanz durch Anmerkungen des Erzähler oder Entdeckungen von Gemeinsamkeiten durch die Figuren immer wieder überbrückt. Insofern wirkt die Trennung auf den Leser als eine nur scheinbare.