Superarzt Grant unter Primitiven: Stephen Slaughters „Das Pestschiff“. Eine Rezension von Rob Randall
Ich muss gleich zu Beginn eingestehen: Ich habe den Roman Das Pestschiff von Frank G. Slaughter nur zur Hand genommen, weil er irgendwie in meiner WuB (Wand ungelesener Bücher) gelandet ist. Mir sagte der Name des amerikanische Autors überhaupt nichts – und das, obwohl der ehemalige Arzt 56 Romane geschrieben und davon offensichtlich über 60 Millionen Exemplare verkauft hat. Dann musste ich jedoch auch erfahren, dass von diesen gut 5 Dutzend Romanen, die der Mann sich im Schweiße seines Angesichts abgerungen hat, schon heute kein einziger mehr im deutschsprachigen Raum lieferbar ist – genauso wenig, wie sich im Internet eine deutsche Rezension zu dem 1976 erschienenen Roman Das Pestschiff finden lässt. Worüber ließ das jetzt Aussagen zu? Über die Qualität des Romans? Über das Niveau deutscher Verlage bzw. deutscher Leser? Oder über mich, der ich den Mann nicht kannte?
Ein ganze Menge Inhalt
Ganz im Stile des nach dem Kriege auch in Deutschland so erfolgreichen Arztromans steht im Zentrum der Handlung der erfahrene Immunologe und Nobelpreisträger Dr. Grant Reed, welcher von der verführerisch schönen Lael, der Assistentin seines Bruders Guy, in die peruanische Hafenstadt Chimbote gerufen wird, weil dieser aufgrund einer unbekannten Krankheit auf dem Lazarettschiff Mary mit dem Tode ringt. In weniger als 24 Stunden verdichten sich die Vermutungen des immer souveränen Grant Reed zu einem Gesamtbild: Sein Bruder hatte eine Beziehung mit Lael.
Nach und nach erfährt der Protagonist die doch recht geheimnisvoll anmutenden Fakten: Bei einer archäologischen Grabung haben Guy und Lael ein antikes Massengrab angebohrt und dadurch – so die Vermutung des nie irrenden Grants – einen uralten Erreger freigesetzt. Tatsächlich bestätigen weitere Krankheits- und Todesfälle im Grabungsteam seine Befürchtungen: Ein 5000 Jahre alter Killer grassiert in den Armenvierteln von Chimbote. Und weil Grant aufgrund seiner in Afrika gewonnenen Erfahrungen über eine Art prophetischer Weitsicht verfügt, weiß er selbstverständlich auch, auf welchen Wegen der Erreger sich in die nahegelegenen Städte ausbreiten wird – was dann auch geschieht, weil die Behörden natürlich – aber auch das hat Grant antizipiert – aus ökonomischen Gründen viel zu spät seine äußerst sinnvollen und unbestreitbar richtigen Forderungen nach der Isolation des betroffenen Gebietes erfüllen. Allerdings breitet sich die eigentlich immer noch lokal begrenzte Seuche schneller als gedacht zur Pandemie aus, weil eine von Guy in die Staaten geschickte Probe kontaminiert gewesen ist. Grant weiß: Das könnte das Ende sein, wenn nicht schnell ein Gegenmittel gefunden wird.
Dem abgebrühten Super-Arzt Grant gelingt es zwar trotz seiner unerschütterlichen Ruhe nicht, seinen Bruder zu retten, allerdings lässt er den Toten noch tüchtig zur Ader, um die Besatzung des Schiffes und die behandelnden Ärzte, die neben Grant beinhahe wie Statisten wirken, eine Zeit lang zu immunisieren, bis ein wirkliches Gegenmittel gefunden ist. Dabei verkomplizieren drei Dinge allerdings zunehmend das Geschehen: Zum einen arbeiten die in den Slums von Chibote gegen Grant agitierenden Medizinmänner diesem entgegen – so dass das Schiff den Hafen letztendlich vor dem aufgebrachten Pöbel fliehend verlassen muss – und zum anderen fällt er mit der heißen Assistentin seines noch gar nicht so lange kalten Bruders während eines Sturms buchstäblich in die Koje. Wirklich hindern kann das Grant auf dem Weg zu seinem zweiten Nobelpreis natürlich ebensowenig wie die zu meutern beginnenden Indios auf dem Schiff oder die überraschende Ankunft seiner Noch-Ehefrau (dem ‘Luder’), denn deus-ex-machina liegt plötzlich die Rettung der Welt auf der Hand – pardon: in Grants Hand.
Super-Grant
Slaughter hat in den überwiegend personal erzählten Roman, wie man sieht, eine ganze Menge hineingepackt, um die Handlung zu verkomplizieren – nur leider keine mitreißende Beschreibung der Epidemie geliefert, obwohl das durchaus drin gewesen wäre. Denn er konzentriert sich ganz auf die Bemühungen des Super-Arztes Grant. So erlebt der eben nicht mitfiebernde Leser die Pandemie und ihre Auswirkungen auch nicht, sondern muss sich durch die sehr ausführlichen und manchmal ermüdend ins Detail gehenden medizinischen und wissenschaftlichen Beschreibungen Grants (deren Plausibilität ich nicht beurteilen kann) während dessen Arbeit auf dem im Pazifik dahin dümpelnden Schiff kämpfen. Slaughter gestaltet seinen Helden dabei mit einer Kaltschnäuzigkeit und prophetischen Weitsicht aus, die ihn bald nicht mehr als Sympathieträger wirken lassen. Der Autor scheut sich auch nicht, das gänzlich Unwahrscheinliche so abrupt einzuführen, dass man als Leser weniger über die Gefährlichkeit der Seuche als über die zunehmende Arroganz der Figur Grant staunt, beispielsweise als er erfährt, was im Hochsicherheitslabor (heißes Labor) in den U.S.A. geschehen ist:
“Gestern habe ich einen Funkspruch an Marshall losgelassen und ihn dasselbe gefragt. Heute früh hat er durchgegeben, daß sie auf der Stelle treten und sich rein gar nichts tut – mit Ausnahme der Tatsache, daß zwei Mitarbeiter des ‘heißen Labors’ erkrankt sind, vermutlich am Yungay-Fieber. “Das ‘heiße Labor’ bietet den überhaupt höchsten Schutz für Menschen und Mikroorganismen”, sagte Grant deprimiert. “Das bestätigt nur die Auffassung, zu der ich schon auf unserem technisch nicht feudalen Schiff gekommen bin: Wir haben es mit einem Erreger zu tun, der alle von Menschenhand errichteten Schranken überwinden kann.”
Und das, wohl gemerkt, obwohl es vorher keinen einzigen Hinweis für ein solches Verhalten des durch die Luft übertragbaren Erregers gegeben hat – aber das wäre alles ja nur halb so schlimm, wenn Slaughter einen arroganten unsympathischen Helden hätte gestalten wollen. Aber die mehrfache Präsentation der unbedarften Indios und der diese aus niederen Beweggründen gegen die ‘vernünftigen’ weißen Ärzte und ihre überlegene Wissenschaft aufhetzenden Heiler durch den amerikanischen Mediziner Slaughter spricht dafür, dass hier sprachlich anspruchslos auch ein berufsständisches und kulturelles Selbstbild transportiert wird, welches ich in einem Roman von 1900, aber nicht mehr in einem von 1976 erwartet hätte.
Fazit
Gott sei Dank hat Slaughter davon abgesehen, den Roman auktorial erzählen zu wollen, sonst wäre Das Pestschiff aufgrund der oben angeführten Gründe wahrscheinlich im literarischen Giftschrank gelandet. Das dürfte auch letztendlich die Ursache dafür sein, dass der Roman in Deutschland nicht mehr aufgelegt wird. Aber auch die fehlende Spannung, die langen dialogischen Abschnitte und medizinischen Ausführungen sowie die auf die Bemühungen Super-Grants beschränkte Präsentation der Seuche sollten einen davon Abstand nehmen lassen, das antiquarisch noch erhältliche Buch zu lesen, weil man man sich für das Thema Pandemie interessiert – selbst wenn man noch an die weißen Götter in Weiß glaubt.