Preisverdächtig? Ein Lesebericht: Frank Herberts „Die weiße Pest“. Eine Rezension von Rob Randall
Unter den 1983 für den besten Science-Fiction-Roman nominierten Texten des Locus-Awards befand sich auch Die weiße Pest (The white Plague) von Frank Herbert. Der eher für sein Werk Dune – Der Wüstenplanet bekannte (oder besser: berühmte) Autor verlor letztendlich aber in der Leserabstimmung des Magazins gegen Isaac Asimovs Buch Foundation’s Edge. Das konnte ich dem entsprechenden Wikipedia-Artikel vor Beginn der Lektüre des Buches entnehmen. Aber was sagte mir das über die Qualität des Buches? Ich nahm es als ein gutes Omen, denn eine Nominierung deutet üblicherweise schon auf eine gewisse Güte hin. Außerdem kann es keine Schande sein, gegen einen Autoren dieses Formates in einem Wettbewerb zu verlieren, also schlug ich voller Erwartung das Buch auf.
Phase 1: Kurze Spannung
Herbert geht in den ersten drei Kapiteln gleich blutig in die Vollen. Ein detailliert beschriebenes Bombenattentat der IRA ‘zerlegt’, so muss man wohl sagen, die Familie des amerikanischen Molekularbiologen John R. O’Neill. Als diesem im Krankenhaus bewusst wird, dass sein Leben von Terroristen zerstört worden ist, schwört er feierlich tödliche Rache. Die Verantwortlichen werden bezahlen müssen. In Kapitel 3 ist es auch beinahe schon so weit. Drohbriefe gehen bei verschiedenen Regierungen ein. In ihnen kündigt der sich selbst als „Der Verrückte“ bezeichnende Verfasser seine Vergeltung an: Ein durch gentechnische Methoden geschaffenes Virus wird in Irland, England und Lybien, den für die Ermordung seiner Familie vor einem Jahr verantwortlichen Staaten, freigelassen werden – und sollten die anderen Länder deren Staatsangehörige zu schützen versuchen, so werde sich seine Wut auch gegen deren Bevölkerung richten. Tatsächlich beginnt die Seuche nun gezielt alle Frauen des ganzen Planeten zu töten, weil Mikroben vielleicht Geschlechter, aber keine Grenzen kennen. Und so bahnt sich in schnelles Ende aller weiblichen und ein langsames, sehr einsames Dahinsiechen aller männlichen menschlichen Wesen an.
Phase 2: Anhaltende Irritation
Vom schnellen Auftakt über die ersten 50 Seiten kann sich der Leser dann erst einmal langsam wieder erholen, denn hier konzentriert sich der Autor auf die sich anbahnende Liebesgeschichte eines angehenden Mediziners mit einer jungen Krankenschwester. Trotzdem verstört die Beschreibung des turtelnden Pärchens auf überraschende Weise den Leser. Dafür verantwortlich sind vor allem Dialoge und innere Monologe wie dieser:
„Hast du denn keinen Hunger?“ „Also wenn du schon so fragst, ein Sandwich wäre ganz köstlich.“ Und billiger, dachte er. Bei Kate setzte offenbar der gesunde Menschenverstand nie aus. Das war ein Zug an ihr, den er bewunderte. Zweifellos würde sie eine gute Hausfrau sein.
Ich habe an dieser Stelle noch einmal nachgeguckt: Wann ist das Buch doch gleich geschrieben worden – 1960? Nein, tatsächlich 1983. Allerdings soll die Handlung ja in Irland spielen – vielleicht wollte der alternde Autor ja das konservative katholisch geprägte Milieu besonders hervorheben. Das würde auch Abschnitte wie diesen erklären:
Er hielt ihr ein Präservativ unter die Nase, das einer seiner Studienkollegen in England erworben hatte. Kates Gesicht wurde puterrot, sie riß ihm das Ding aus der Hand und schleuderte es quer durchs Zimmer. „Stephen, was wir machen ist schon sündhaft genug, aber eine solche Schweinerei will ich nicht auf meiner Seele haben.“
Angesichts der drohenden Auslöschung ihrer weiblichen Bevölkerung setzen die Staaten dieser Erde auf eine Mehrfachstrategie. Zum einen beginnen sie vergeblich nach O’Neill, der unter falschem Namen untergetaucht ist, zu suchen. Diesem ist es allerdings gelungen, nach Irland einzureisen, um sein Rachewerk mit eigenen Augen zu begutachten. Zum anderen riegeln sich die noch verschonten Gebiete hermetisch von den befallenen ab. Mit dem Einsatz von Atombomben wird Istanbul ‘gesäubert’, Rom zerstört, ein strahlender Gürtel aus Kobalt soll die afrikanische Bevölkerung auf ihrem Kontinent halten, nachdem Israel nach Brazilien verlegt worden ist. Für wen das jetzt übertrieben und an den Haaren herbeigezogen klingt, der lasse sich gesagt sein: Das ging mir genauso. Das ganze Szenario, das Verhalten der Regierungen, die sich gegenseitig die totale Vernichtung androhen, sollte der Virus die jeweilige Bevölkerung befallen, erscheint mir – man verzeihe den Ausdruck – hirnrissig.
Eine ebensolche Bezeichnung haben auch die internationalen Dialoge der an der Erforschung des Virus beteiligten Wissenschaftler bei ihrem ersten Planungsgespräch verdient. So gibt die von Herbert in ihrer überdurchschnittlichen Körpergröße genau beschriebene amerikanische Wissenschaftlerin gegenüber ihrem leicht schüchternen russischen Kollegen von sich: „Es ist mir durchaus bewusst, dass ich das größte Exemplar von einer Baby Doll im ganzen Universum bin.“ Und Herbert führt weiter aus: […] Danach beglückte sie ihn mit einer detaillierten Beschreibung dessen, was sie mit seinen höchstpersönlichen Attributen zu tun beabsichtige, falls er es sich noch einmal erlauben würde, sie auf derart ungezogene Weise anzustarren.
Man kann sich als Leser irgendwie des Eindruckes nicht erwehren, dass der 60-jährige Herbert an der realistischen Darstellung von zeitgenössischen Frauen scheitert – und das ist um so überraschender, als die meisten Frauen ja schon von ihm literarisch ‘entsorgt’ worden sind. Außerdem scheint Herberts Frauenbild sonderbare Züge zu tragen. Nicht nur, dass Kate schnell ihre prüde Ablehnung gegenüber ihrem fürsorglich mit Kautschuk aufwartenden Arzt fallen lässt, als sie mit diesem aus Schutz vor dem Virus in einem luftdichten Tank eingesperrt wird (was menschlich verständlich ist), nach dem Sieg über die Seuche ‘jubeln’ die Frauen innerlich über die die sich ihnen nun bietenden Möglichkeiten (was mithin vorstellbar ist – erkläre einer die Frauen!). Aber wenn alle dargestellten Überlebenden ihren Ehemännern telefonisch mitteilen, sie seien von ihrem neuen Zweit- oder Drittehemann schwanger oder – wie Kate – angesichts hakennasiger französischer Admiräle so weiche Knie bekommen, dass sie sich lüstern und selig zugleich bereit erklären, Geburtsmaschinen für uniformierte Alphamännchen zu spielen, dann muss man vermuten, dass Herbert irgendwo in den langen Fünfzigern den Anschluss verpasst hat.
Phase 3: Bleibende Langeweile
Eigentlich ist das ganz nett gedacht: O’Neill reist durch das in Chaos versinkende Irland und dem Leser eröffnen sich damit Einblicke in die apokalyptische Szenerie. Damit es nicht zu langweilig wird, vermutet die IRA, dass es sich bei O’Neill um O’Neill handelt und gibt diesem mehrere seltsame, sich ständig streitende Begleiter mit, die herausfinden sollen, ob O’Neill tasächlich O’Neill ist. Damit es noch spannender wird, ist einer der Begleiter O’Neills der Mörder der o’neillschen family. So weit – so gut. Allerdings diskutieren die beiden Begleiter ununterbrochen in ausgesprochen oberflächlicher Weise über Gott, die Kirche und das alte Irland – wobei Herbert hier aus den Mündern seiner Figuren eine geradezu ‘völkisch’ wirkende Vorstellung Irlands preisgibt (Zudem halten sich die spannenden Erlebnisse O’Neills – und damit auch des Lesers – in Grenzen). Das mag man noch hundert Seiten ertragen, wenn man ein sehr geduldiger Mensch ist, vielleicht auch noch zweihundert, weil gerade Sonntag ist – aber diese Karikatur von der quest eines sein verdrängtes O’Neill-Ich suchenden Protagonisten über 400 Seiten lesen zu müssen, ist eine beinahe unmöglich zu ertragende Tortur. Ich bin zumindest mehrere Abende lang nach höchstens 10 Seiten eingeschlafen.
Mein lang anhaltendes Leiden veranlasste mich auch dazu, mal genauer nachzusehen, auf welchem Platz dieser für einen Preis vorgeschlagene Text eigentlich gelandet war. Er belegte bei 25 nominierten Romanen Rang 19, und ich versprach mir selbst in Zukunft bei meiner der Lektüre der Werke vorangehenden Recherche etwas sorgfältiger zu sein.
Und der erste Preis für das schlechteste Cover geht an…
…den Heyne Verlag. Den unwissenden Käufer mag es noch täuschen, aber kommt der Roman nach seinem Aufprall gegen die Wand zufällig mit dem Cover nach oben zum Liegen und fällt der wütende Blick des Leser darauf, so wird diesem sofort bewusst: Das haarige einäugige Etwas auf drei Beinen im dunstigen Wolkenmeer, das einen Totempfahl (?) bewacht (?), einem Flugzeugabsturz (?) den Rücken (?) kehrt, hat nichts, aber auch rein gar nichts mit dem eben angedeuteten Inhalt des Romans zu tun.
Meine Vermutung, wie es dazu kam, ist folgende: Für diesen drittklassigen Roman wurde noch verwendet, was gerade auf Halde lag. Vielleicht kennt ja jemand ein Werk, in dem dieses Wesen tatsächlich eine Rolle spielt? Für die ersten Hinweise, die zur Klärung dieses Sachverhaltes führen, wird mein Exemplar von Die Weiße Pest zur Belohnung ausgesetzt. Bitte meldet euch!