Richard Matheson: Ich bin Legende

Eine Rezension von Rob Randall

Man muss den Roman Ich bin Legende schon zu den Klassikern der phantastischen Literatur zählen. Denn der amerikanische Autor Richard Matheson erneuerte 1954 mit diesem nicht nur das deutlich in die Jahre gekommene Bild des Vampirs, sondern übte auch starken Einfluss auf eine ganze Reihe von Autoren und Regisseuren aus: Mit George Romero sei hier nur einer genannt, der sich durch Mathesons Werk inspirieren ließ – in diesem Falle zu seinem Zombiefilm Die Nacht der Lebenden Toten.

Gelingen konnte dieses Matheson vor allem, weil er in I am Legend bekannte Motive des Horrorgenres überzeugend mit Elementen des Science Fiction mischt. Der einzig verbliebene und deshalb auch vereinsamte Vertreter der Menschheitdurchstreift nicht wie in Shelleys Verney der letzte Mensch oder Shiels Die purpurne Wolke eine verlassene Welt, sondern muss sich in seinem Haus, das jede Nacht von Untoten belagert wird, verschanzen. Letztere gelangen nicht wie Hodgsons übernatürliche swine-things in The House on the Borderland durch einen phantastischen Riss in die moderne Welt, sondern als mutmaßliche Folge eines angedeuteten Krieges, als Folge radioaktiver Strahlung, welche Insekten so hat mutieren lassen, dass sie nun einen Krankheitserreger verbreiten, der die Menschen in Vampire verwandelt.

Der Protagonist Robert Neville verbringt seine Zeit am Tage deshalb auch nicht nur damit, auf Beutezug zu gehen, um sich mit allem zu versorgen, was man zum Überleben benötigt (z.B. auch Whisky), oder die Untoten, allen voran seinen ehemaligen Freund und Nachbarn, aufzuspüren, sondern auch mit wissenschaftlichen Nachforschungen anzustellen, welche in der Entdeckung des Erregers und der Unterscheidung von psychischen und physiologischen Aspekten des Vampirismus gipfeln. Vergleicht einmal unter diesen drei (bzw. mit dem Whisky vier) Gesichtspunkten einen neueren Zombieroman wie J. L. Bournes Tagebuch der Apokalypse mit Mathesons Text, wird deutlich, wie viel ihm auch heutige Autoren noch zu verdanken haben.

Fluktuierende Tiefe

Aber nicht nur unter dem literaturhistorischen Blick zeichnet sich der Roman aus – Matheson legt es drauf an, durch die Markierungen seiner Figuren Konflikte zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen im Bewusstsein des Lesers aufzurufen:

Schreiende weiße Gesichter flogen an den Fenstern vorbei. Ihre Schreie drehten ihm den Magen um… Er blickte über die Schulter und sah, wie sie aufholten, wie ihre fahl weißen Gesichter sich auf den Wagen, auf IHN richteten

Allerdings verweigert sich der Text immer wieder, wie Jakob Schmidt in seiner Untersuchung Untot in Amerika. Das Gesellschaftlich Imaginäre des Lynchmords und das Motiv der Massen-Untoten* überzeugend zeigt, einer eindeutigen Gleichsetzung von Figuren mit Bevölkerungsgruppen der realen Welt des Lesers. Denn eigentlich sei die Hauptfigur ein Weißer (noch dazu explizit deutsch-britischer Abstammung). Und immer wieder werde das Verhältnis von Neville und Vampiren zur Kippfigur: So fragt sich der Protagonist in einem inneren Monolog:

Weshalb kann der Vampir nicht leben, wo es ihm gefällt? Warum muss er sich in Verstecken verkriechen, wo keiner ihn finden kann? Weshalb wollt ihr ihn vernichten? Seht ihr, ihr habt den Unschuldigen zum gehetzten Tier gemacht. Es gibt keine Möglichkeit, für seinen Unterhalt zu sorgen, für eine anständige Ausbildung, er hat kein Stimmrecht. Kein Wunder, dass er zum nächtlichen Raubtier wird.

Das lässt sich nicht nur als ironisierende Anspielung des Verhältnisses von Schwarzen und Weißen in den U.S.A. der Rassentrennung lesen, sondern auch als eine Analyse der Vampire aus der Sicht der “normalen Menschen” – oder auch als Analyse der Situation Nevilles, denn dieser jagt die Vampire am Tage:

Nach seiner Brotzeit ging er von Haus zu Haus und führte alle Pfähle ihrer Bestimmung zu. Es waren 57 gewesen.

Bei seinem Feldzug geht der Held des Romanes trotz aller wissenschaftlichen Anstengungen aber nicht – wie es noch auf den ersten Seiten auf den Leser den Eindruck macht – ohne Emotionen zu Werke. Nicht nur, dass er den Anführer des Mobs, der jede Nacht vor seinem Haus lauert, persönlich kennt und sucht, nicht nur, dass er sich zu seiner eigenene Sicherheit selbst verwehren muss, die sich vor seinem Haus in aufreizende Posen werfenden Vampirfrauen zu betrachten – immer wieder sucht er vor allem letztere in ihren Schlafstätten auf und massakriert sie. Und in seinen dunklen Stunden lässt er sich vollaufen:

Ich bin ein Tier, dachte er. Ein dummes, hirnloses Tier.

Von der Einsamkeit der Postapokalypse

Überhaupt beeindruckt der Roman immer wieder durch die Tiefe der Darstellung von Nevilles inneren Konflikten, seinen Hoffnungen und seinen Schwächen – und der Veränderung, die er als Mensch in seiner ingesamt drei Jahre währenden Einsamkeit erfährt. Und die ihn letztlich selbst in einer letzten Kippbewegung zur Schreckgestalt einer heraufziehenden neuen Gesellschaft macht – und deren Legende.

Wer die Verfilmungen des Romanes – die erste mit Vincent Price, die zweite mit Charlton Heston oder auch die neueste mit Will Smith – kennt, weiß, dass Neville hin und wieder aber doch nicht so ganz alleine ist: Im Roman entdeckt er einen Hund, dem es als einzigem seiner Art ebenfalls gelungen ist, zu überleben. Wochenlang bemüht er sich, das traumatisierte Tier, welches ihm nicht zu fangen gelingt, an sich zu gewöhnen. Er füttert es liebevoll, nähert sich ihm langsam an – doch die Unterbrechung des monotonen und einsamen Alltags des Protagonisten dauert – im Gegensatz zur neuesten Filmhandlung – nur kurze Zeit; wenige Tage später stirbt der Hund in seinen Armen. Beim Lesen dieser Seiten muss mit Sicherheit selbst eingefleischteste Fan des Horrorgenres schlucken.

Fazit

Richard Mathesons ist mit I am Legend ein großartiger und eindringlicher Roman gelungen, der sich weit jenseits aller Klischees und Stereotypen seiner Zeit bewegt. Auch diejenigen, die mit den Verfilmungen vertraut sind, sollten ihn einmal wieder lesen – denn er ist zurecht ein moderner Klassiker.

*Jakob Schmidt: Untot in Amerika. Das Gesellschaftlich Imaginäre des Lynchmords und das Motiv der Massen-Untoten*, in: Franz Rottensteiner [Hg.] Quarber Merkur, Folge 116Giessen, 2011, S. S. 11-68.
Werbung

Ray Bradbury: Fahrenheit 451

Eine Rezension von Rob Randall

Eine der bekanntesten Dystopien des 20. Jahrhunderts veröffentlichte 1953 der amerikanische Science-Fiction-Autor Ray Bradbury. Hervorgegangen aus mehreren Kurzgeschichten und geschrieben innerhalb von anderthalb Wochen auf einer Mietschreibmachine im Keller der University of California in höchst kunstvoller Sprache, beschreibt der Roman den Weg des amerikanischen Feuerwehrmanns Guy Montag in den Widerstand.

Weiterlesen

Mary Shelley: Verney oder der letzte Mensch

Eine Rezension von Rob Randall

An die Autorin Mary W. Shelley erinnert sich die lesende Öffentlichkeit heute überwiegend nur noch aufgrund ihres Romanes Frankenstein. Doch neben diesem Werk, das von vielen als erster Science Fiction Roman überhaupt angesehen wird, hat die Autorin ein weiteres verfasst, das zumindest für die Literaturgeschichte von Bedeutung ist: Verney, der letzte Mensch.

Weiterlesen

Valerij Brjusov: Die Republik des Südkreuzes. Ein Artikel aus der Sondernummer des Nordeuropäischen Abendboten

Die erste Dystopie des 20. Jahrhunderts: Die Republik des Südkreuzes. Eine Rezension von Rob Randall

Der russische Schriftsteller Valerij Brjusov, der vornehmlich für seine Gedichte und als Führer der Bewegung der russischen Symbolisten bekannt ist, veröffentliche 1905 eine nur 30 Seiten umfassende und – nicht nur mit Blick auf den Titel – ganz eigentümliche Dystopie: Die Republik des Südkreuzes. Ein Artikel aus der Sondernummer des Nordeuropäischen Abendboten. Und wer schon einmal symbolistische Texte gelesen hat, der weiß: Die Dechiffrierung der Aussage wird nicht ganz leicht.

Weiterlesen

Philip Kindred Dick: Träumen Androiden von elektronischen Schafen?

Philip Kindred Dicks Klassiker „Träumen Androiden von elektronischen Schafen?“ Eine Rezension von Rob Randall

Der Vergleich zwischen einem literarischen Werk und seiner Verfilmung ist so eine Sache: Meistens bleibt doch der Film hinter seinem literarischen Vorgänger zurück – gleich ob man den Roman zuerst liest oder den Film als erstes schaut. Für den 1968 erschienenen Roman Träumen Androiden von elektronischen Schafen und den 1982 veröffentlichten Film Blade Runner gilt dieses aber nicht – zu sehr unterscheiden sie sich voneinander; möglicherweise ist das auch einer der Gründ dafür, dass der Film einen anderen Namen trägt als seine literarische Vorlage (neben der Tatsache, dass der Romantitel wahrscheinlich als Name des Kinofilms wenig Publikum angezogen hätte). Vielleicht ist aber auch gerade die eigene Natur des Filmes der Grund dafür, dass er so gut ist (er ist mein Lieblingsfilm). Tatsächlich sehe ich mich aufgrund der Unterschiede und meiner Begeisterung für Blade Runner außerstande, den Roman an diesem zu messen.  Deshalb werde ich ihn im Folgenden „behandeln“, als gäbe es den Kinofilm nicht (Für den Inhalt des Filmes und seine Beurteilung siehe man hier: http://dukesmovieblog.wordpress.com/2008/09/06/kurz-reingeschaut-blade-runner-usa-1982/)

Man schreibt das Jahr 1992, der WWT, der World War Terminus hat die Erde verwüstet, radioaktiver Staub liegt über den Megastädten, in die sich diejenigen Menschen zurückgezogen haben, die noch nicht zu den Kolonien ausgewandert sind. Aber auch diese werden vermutlich später zu den Sternen aufbrechen, denn die Gefahr, durch die Strahlung irgendwann zu erkranken und dann zu einem aus der Gesellschaft ausgeschlossenen special – womöglich einem halbdebilen chickenhead – zu werden, ist zu groß. Um das Leben in den Kolonien zu vereinfachen, werden immer bessere Modelle von Androiden konstruiert, das letzte, Nexus 6, ist vom Menschen nicht mehr zu unterscheiden, wäre da nicht ein ebenfalls immer weiter verbesserter Empathietest. Tatsächlich sind die Androiden teilweise zudem mit falschen biografischen Informationen ausgestattet, so dass sie selbst nicht einmal wissen, dass sie keine Menschen sind.

„I’m not a cop“. He felt irritiable , now , although he hadn’t dialed for it. „You’re worse“, his wife said, her eyes still shut,“You’re a murderer, hired by the cops.“

Rich Deckard ist ein Kopfgeldjäger, der für das San Francisco Police Department arbeitet und der sich in seiner kalten Ehe zunehmend alleine, verlassen und  mit seinen Problemen von seiner Frau unverstanden fühlt. Deckards Aufgabe ist es, entlaufende Androiden „in den Ruhestand zu schicken“.  Seine Chance bietet sich, als der eigentliche Kopfgeldjäger des Distriktes von einem der sechs Exemplare des Modells Nexus 6, nach denen er auf der Jagd ist,schwer verwundet wird. Und Deckard braucht das Kopfgeld dringend, denn im Gegensatz zu seinen Nachbarn verfügt er als Statussymbol zu seinem Leidwesen nur über ein elektronisches Schaf – und die noch lebenden Überbleibsel der aufgrund der Strahlung weitgehend ausgestorbenen Tierwelt sind teuer. Er macht sich auf zur Zentrale der Rosen Company, dem Hersteller des Nexus 6, um die Funktionalität seines Test sicherzustellen. Dabei lernt er Rachel Rosen kennen, die – wie er beim Teyst entdeckt – ein Nexus 6 ist. Sie bietet ihm ihre Hilfe bei der Jagd an. Deckard lehnt zunächst ab.

Empathy toward an artificial construct? he asked himself. Something that only pretends to be alive? But Luba Luft had seemed genuinely alive…

Bei seinem Versuch, einen als Opernsängerin getarnten Androiden, Lola Luft, auszuschalten, wird Deckard verhaftet und in ein Polizeirevier gebracht, das ihm bisher unbekannt gewesen ist – zu seinem Entsetzen muss er entdecken, dass die entflohenen Androiden eine Organisation geschaffen haben, um miteinander in Kontakt bleiben zu können. Mit Hilfe eines weiteren menschlichen Kopfgeldjägers, den Deckard aber eigentlich für einen Andoiden gehalten hat, kann er entkommen und Lola Luft töten. Spätestens jetzt beginnt er an seiner Aufgabe zu zweifel, denn die Unterscheidung zwischen Mensch und Android ist kaum möglich: Der kalte Charakter des anderen Kopfgeldjägers lässt ihn nachdenklich werden.

Die andere Hauptfigur des Romans  ist J.R. Isidure, ein chickenhead, der zufälligerweise in dem abbruchreifen Appartmenthaus wohnt, in dem die letzten drei gesuchten Nexus-6-Modelle Unterschlupf suchen. Er beschließt ihnen zu helfen.

Do Androids dream, Rick asked himself.

Bevor es zum Showdon in dem leeren Apartementhaus bei J.R. Isildure kommt, ruft Rick Deckard Rachel Rosen an und bittet sie ihm zu helfen – tatsächlich zweifelt er nämlich daran, ob er noch in der Lage sein wird, die Androiden zu töten, denn er beginnt Mitgefühl für seine „Opfer“ zu entwickeln. Auch der vorhergehende Kauf des so lang erträumten Haustieres vom schon ausgezahlten Kopfgeld hat seine Stimmung nicht verbessert. Rachel und er verbringen die Nacht miteinander, doch ist im Gegensatz zu Rick von Rachels Seite aus weniger Gefühl als vielmehr Berechnung dabei, dass sie mit ihm schläft – sie will die anderen Androiden vor ihm schützen, ihn emotional destabilisieren, sodass er seiner Aufgabe nicht mehr nachgehen kann.

„If I could legally marry you, I would“ […] And in two years he thought, you’ll wear out and die. Because we never solved the problem of cell replacement, as you pointed out. So I guess it doesn’t matter anyhow.

Wie auch der Film stellt der Roman gelungen die immer noch unbeantwortete Frage danach, was den Menschen eigentlich ausmacht, was ihn von der Maschine – und sei sie noch so hoch entwickelt – unterscheidet. Die Antwort des Romans ist das Mitleid, die Zuneigung und die Aufopferungsfähigkeit für andere, sie machen den Unterschied aus, gerade weil die Grenzen zwischen Mensch und Android  zu verschwimmen beginnen, wenn bounty hunter vorschlagen, erst mit der Beute zu schlafen, bevor man sie tötet, wenn auch Rick Deckard eigennützig Rachel Rosen in sein Hotelzimmer bittet, um später emotionslos über ihre nur noch kurze Lebensspanne zu reflektieren und wenn die menschlichen Figuren (I was in an 382 mood) ihre Gefühle für den jeweiligen Tag elektronisch steuern, die Androiden jedoch (möglicherweise) in ihrem Sklavendasein von der Freiheit oder eigenen elektronischen Schafen träumen…