Susan Beth Pfeffer: Die Verlorenen von New York

Eine Rezension von Rob Randall

Als 2006 die amerikanische Autorin Susan Beth Pfeffer ihren apokalyptischen Roman Die Welt wie wir sie kannten  veröffentlichte, waren die meisten Rezensenten dieseits und jeneits des Atlantiks voll des Lobes: Die Geschichte präsentiere mit der 16-jährigen Miranda eine sympathische Hauptfigur, die so gar keine typische Heldin sei und zeige inmitten eines düsteren und bedrückenden Szenarios den Wert der Familie – so dürfte der Tenor ungefähr lauten, wenn man ihn kurz und knapp zusammenfassen will.

Ähnliches ließe sich wohl aber auch über den Nachfolgeband Die Verlorenen von New York sagen: denn obwohl diesmal ein 17-jähriger Sohn von puertoricanischen Einwanderern im Zentrum der Handlung steht und Pfeffer die Handlung aus dem ländlichen Raum in ihre Heimatstadt am Hudson verlegt, ähnelt sich die Handlung die  beiden Werke durchaus – und dass nicht nur, weil in beiden Romanen ein Asteroid den Mond aus seiner Umlaufbahn wirft.

Städtisches Familienleben

Während in Die Welt wie wir sie kannten Mirandas Mutter das Überleben der Familie sicher stellen muss – und insofern die eigentliche – und manchmal nicht sehr glaubwürdige – ‘Heldin’ ist, fällt in Die Verlorenen von New York dem Protagonisten des Romanes, Alex Morales, diese Aufgabe zu; denn er und seine Schwestern Bri und Juli warten nach einem verheerenden Tsunami – nicht wie Miranda auf einen Bruder, obwohl sie diesen auch noch vermissen – auf die Rückkehr ihrer Eltern. Während Alex‘ den Verlust nach und nach akzeptieren bzw. realisieren kann, ist dieses bei Bri bis zuletzt nicht der Fall. Es ist dieser Glaube an die Rückkehr der Vermissten, der die drei höchst unterschiedlichen Geschwister in einer Stadt verharren lässt, die nicht nur zunehmend leerer, sondern auch immer lebensfeindlicher wird: Und so muss der intelligente und selbstkritische Alex inmitten einer Welt aus Hunger, Seuchen und Gesetzlosigkeit für die Überlebenden seiner Familie sorgen – und wie Miranda wächst er mit den Herausforderungen. Die größte dabei ist – wer kennt das nicht –  nicht selten die eigene Familie. Ihr  Funktionieren aber, so die Grundaussage beider Romane, ist von überragendem Wert – und letzteren führt Pfeffer nun auch immer wieder vor, wenn sich die kleinste Zelle der Gesellschaft als funktionierende Lebensversicherung des Individuums in Zeiten der Not beweist.

Bedrückende Untergangsstimmung

Und so dominieren abermals die zwischenmenschlichen Konflikte die Handlung des Romans – wenn auch nur streckenweise: Denn hier zeichnet Pfeffer sehr viel deutlicher – wenn auch immer noch verhalten und dem Alter der anvisierten Leserschaft angemessen – ein Bild des Untergangs. Während in Die Welt wie wir sie kannten nur verschämt eine auf Linnen “schlafende” Tote präsentiert wurde, pflastern nun verwesende Leichen mit potentieller Beute am Leib den frostigen Asphalt der amerikanischen Metropole. Dementsprechend düster gerät die Stimmung auch, obwohl sie – das darf man nicht verschweigen – an die Atmosphäre der Endzeitliteratur für Erwachsene nicht heranreicht: Während ein kleiner Hungeraufstand präsentiert wird, sucht man umfangreiche Plünderungen vergebens. Aber noch anderes verblüfft: So befindet sich der Erzähler zwar im Besitz einer Pistole, die er beim Leichen-Shopping zusammen mit seinem besten Freund erbeutet hat, aber benutzen kann er sie, als er sie dann tatsächlich braucht, nicht – stattdessen wird mit einem Konservendosenwurf der überraschend rückzugswillige Angreifer in die Flucht geschlagen. Der spannenden Handlung aber tut das keinen Abbruch – dafür kämen als Kandidaten eher die zunehmend nervigen Streitereien der Geschwister in Frage.

Die Katholische Kirche im Zeichen Apokalypse

Obwohl er manchmal Überhand nimmt, erfüllt der familiäre Zwist seinen Zweck. Besser als in Die Welt wie wir sie kannten ist Pfeffer in Die Verlorenen von New York die Zeichnung glaubwürdiger Figuren gelungen. Leider hat sie diese aber mit einem Charakterzug versehen, der sich vor allem in den ersten Kapitel unangenehm in den Vordergrund schiebt – allerdings dürfte diese Einschätzung nicht nur Geschmackssache, sondern vor allen Dingen eine Glaubensfrage sein: Da die drei Figuren AlexBria und Juli einem hochkatholischen Milieu entstammen, werden nicht nur ununterbrochen Gebete gesprochen und Rosenkränze gedreht, sondern auch groteske Tischgespräche über die Funktionen von Heiligen geführt. Und da die drei auch noch von zornig wirkenden, aber innerlich sanften Geistlichen geführte Schulen besuchen, beteiligt sich an derartigen Diskussionen auch noch das soziale Umfeld, das die Gedanken der willigen Jugendlichen hin und wieder auf eine zukünftige Karriereplanung als Nonne oder Priester lenkt. Zur Familie als einzig verlässlicher gesellschaftlicher Instanz aus Die Welt wie wir sie kannten gesellt sich hier nun also die katholische Kirche als jene Einrichtung, welche sich als letzte von ihren caritativen Aufgaben aus der vom Staat zum Untergang verurteilten Stadt zurückzieht und zahlreiche Kinder in ihre ländliche Obhut nimmt (während in den Auffanglagern des Staates schreckliche Zustände herrschen).

Fazit

Pfeffers Die Verlorenen von New York ist trotz manchmal überhand nehmenden Familienzwistes ein spannend zu lesender altersangemessener Weltuntergangsroman für Jugendliche ab 14 Jahren, inmitten dessen düsterer Atmosphäre leider dröhnend die Werbetrommel für eine religöse Gemeinschaft gerührt wird.

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