Douglas Keeney: Der Jüngste Tag. Das offizielle Atomkrieg-Szenario der US-Regierung

Eine Rezension von Rob Randall

Die Veröffentlichung der 1958 von der US-Regierung zusammengestellten Geheimstudie, kurz Emergency Plans Book genannt, durch L. Douglas Keeney im Jahre 2oo2 bietet einen Einblick in die Atomkriegsplanungen der Eisenhower-Regierung. Dieses deprimierende Dokument, das im Orginal nur für kurze Zeit der Öffentlichkeit zugänglich war, unternimmt es, ausgehend von einem angenommenen massiven sowjetischen Erstschlag, die Lage in den U.S.A. zu prognostizieren.

Obwohl die Veröffentlichung aus dem Siegler-Verlag gut 125 Seiten umfasst, macht der Text der geheimen Untersuchung selbst davon nur gut 40 Seiten aus. Denn ergänzt wird der Text der Orginalquelle durch Anmerkungen von Keeney in der gleichen Länge. Beidem vorgeschaltet wird zudem neben einem kurzen Vorwort des Übersetzers und einem umfassenderen des zweiten Herausgebers Stephen Schwartz eine Einleitung von Douglas Keeney – weswegen der Entstehungskontext der Quelle zwar gut deutlich wird – allerdings auch eine ganze Reihe inhaltlicher Redundanzen zu bemerken ist.

Zu Beginn überrascht das, was Keeney da aus den Anfangszeiten des Kalten Krieges zu Tage gefördert hat, kaum: Die amerikanischen Verfasser gehen von einer den U.S.A. technologisch ebenbürtigen, wenn nicht sogar überlegenen U.d.S.S.R. aus; Abfangversuche seitens der Air Force gelingen nur zum Teil; angegriffen werden militärische, industrielle und Bevölkerungszentren. Das Ergebnis im schlechtesten Falle: 25 Millionen Tote und 25 Millionen Verletzte. So realistisch die Planspiele auf den ersten Blick auch klingen – sobald es an die Frage des Überlebens geht, erscheinen die Ausführungen verblüffend paradox. Auf die optimistische Einschätzung, dass die Wiederherstellung [der] Wirtschaft… möglich und notwendig sei, da neben 100 Millionen Menschen riesige Materialressourcen bestehen blieben, folgen zahlreiche weitere, die erstere geradezu ad absurdum führen: Der Regierung entgleite die Kontrolle über weite Teile des Landes, die Gesellschaft zerbreche in lokale Gruppen, die sozialen Standards und Werte würden zerstört und die normalen Produktionsprozesse gänzlich unterbrochen. Dennoch unterscheidet die Untersuchung im nächsten Abschnitt nicht nur Überlebensphase von Aufbauphase, sondern plant das, was angesichts der zuvor geschilderten Verhältnisse kaum noch möglich erscheint: Viele Gebiete sind von derartiger Bedeutung, dass Dekontaminierungsmaßnahmen vorgenommen werden müssen, ohne darauf zu warten, dass die radioaktive Verstrahlung von alleine  nachlässt. Wie allerdings dieses engagierte Vorhaben angesichts der völlig zerstörten sozialen, ökonomischen und administrativen Strukturen umgesetzt werden soll, darüber schweigt sich die Studie zur Gänze aus. Offensichtlich wird es einfach geschehen – weil es geschehen muss. Ansonsten hätte diese hilflos wirkende Studie, die den nuklearen Schrecken zum Ausgang einer Zukunft zu machen versucht, ihren Sinn auch insgesamt verfehlt.

Deshalb erscheint es auch ärgerlich, wenn der Herausgeber, dessen Anmerkungen zwischen redundanter Textparaphrase und wenig tiefgehender Erläuterung hin und her oszillieren, mit Blick auf die durch die Quelle antizipierte Hungerkatastrophe unkritisch ergänzt: Das Waschen der Nahrung kann helfen, und daher wird die Regierung vermutlich Informationen verbreiten, wie man Nahrung säubern kann. Es ist gleichzeitig wahrscheinlich, dass das Militär bald Nahrung über die [sic!] betroffenen Gebiete mit Fallschirm abwirft. Dass die Anmerkungen dem Thema überwiegend nicht gerecht werden, machen auch die zahlreichen Ausführungen zum 11. September 2001, in dessen Schatten das Buch auch erschienen ist, immer wieder deutlich. So bemerkt Keeney zwar durchaus, dass selbst die Verfasser an der wichtigsten Voraussetzung ihrer optimistischen Zukunftspläne zweifeln, nämlich der Möglichkeit, die Menschen zu  motivieren, zieht aber hier völlig unpassend die Parallele: Dies war nach New York nicht der Fall. Nachdem die Twin Towers eingestürzt waren, strömten Amerikaner aus allen Teilen des Landes nach New York, um zu helfen. Dieser Vergleich wird der Sache nun wirklich nicht gerecht.

Fazit

Das Emergency Plans Book bedrückt den Leser vor allem aufgrund der verborgenen Hilflosigkeit seiner Verfasser, welche versuchen das nukleare Ende von einem optimistischen Ansatz her zum Ausgangspunkt einer neuen Zukunft zu machen. Höchst ärgerlich ist der umfangreiche Kommentar des Herausgebers, der nicht nur an der Oberfläche der Quelle verbleibt, sondern diese auch insgesamt viel zu unkritisch behandelt.

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