Ray Bradbury: Die letzte Nacht der Welt

Eine Rezension von Rob Randall

Als ich gestern mal wieder durch die Werke Ray Bradburys geblättert habe, bin ich auf die kurze Erzählung Die letzte Nacht der Welt aus Der Illustrierte Mann gestoßen, die mir völlig entfallen war.

Der seltsam anmutende Text aus dem Jahre 1951 gibt das Gespräch eines Ehepaares am Abend des 19. Oktober 1969 wieder. Aus ihren Äußerungen geht nach und nach hervor, dass sie selbst und die Menschen in ihrer Umgebung der gleiche visionäre Traum verfolgt – dass in dieser Nacht die Welt untergeht.

Angesichts des Unausweichlichen verfällt die Menschheit – wie auch das Ehepaar – aber nicht in Panik, sondern geht den Verrichtungen des Alltags nach wie jeden anderen Abend auch. Die fatalistische Gelassenheit angesichts des bevorstehenden Endes gipfelt zum Schluss im Gang der Frau zur Küche, weil sie vergessen hat, den Wasserhahn abzudrehen.

In der Literaratur lassen sich zwei Arten von apokalyptischen Szenarien unterscheiden: Diejenigen, die für sich selber stehen, und diejenigen, die auf andere – manchmal auch wenig konkret – verweisen. Offensichtlich hat man es hier bei Bradburys Text, der die grassierenden Weltuntergangsängste der 50er Jahre verarbeitet, mit einem der letzteren Sorte zu tun. Obwohl die Aussage, dass in dieser Nacht strategische Bomberflotten von Ost nach West und von West nach Ost fliegen, ohne je wieder zu landen, auf die Bedrohung der Menschheit durch einen Nuklearkrieg verweist, steht ihr die von beiden akzeptierte Tatsache entgegen, dass der Untergang genau 24 Stunden dauern wird – da die Welt nur in der Nacht untergeht.

Über der abendlichen Szene liegt jene melancholische Stimmung des Unausweichlichen, die sich auch in Neville Shutes Das letzte Ufer (1959) bemerkbar macht.  Hier wie dort resultiert sie nicht zuletzt auch aus dem Zusammentreffens des Alltäglichen mit dem Unfassbaren. Der visionäre Riss, der durch bei Bradbury durch die Welt der Figuren geht, führt zu ähnlichen Reaktionen wie die wissenschaftlichen Voraussagen bei den Australiern ShutesMan schreit nicht, wenn man dem Unausweichlichen gegenüber steht. In höchst poetischer Sprache spiegelt Bradbury die diffusen ohnmächtigen Ängste seiner Zeitgenossen.

Bemerkenswert ist Die letzte Nacht der Welt aber auch, weil sich die Erzählung in der Präsentation des Endes, das hier wieder eine schwache überirdische Aura aufweist, deutlich von den übrigen Werken der 50er Jahre abhebt, erscheint bei diesen doch noch der unausweichlich gelungene Neuanfang der konkret präsentierten Katastrophe eingeschrieben zu sein. Es ist diese Dimension des Textes, die ihn neben seiner Konzentration auf das Menschliche besonders bedrückend und lesenswert macht.

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