Thomas M. Disch: Camp Concentration

Eine Rezension von Rob Randall

Der amerikanische Autor Thomas M. Disch lässt in seinem 1968 erschienenen Roman Camp Concentration die us-amerikanische Regierung Häftlinge mit neuartigen Syphiliserregern infizieren, um die damit einhergehende Intelligenzsteigerung der „Patienten“ zu messen – und den den Tod der unliebsamen Versuchspersonen in Kauf nehmen. Eine unvorstellbare Annahme des Autors – oder etwa doch nicht?

Versuche am verzweifelten Objekt

Disch verlegte 1968 bedrückenderweise die Versuche der amerikanischen Regierung in eine äußerst nahe Zukunft, in welcher nicht nur der ehemalige Außenminister der U.S.A. McNamara Präsident ist, sondern auch immer noch Krieg in Kleinasien – unter dem Einsatz von bakteriologischen Waffen geführt wird.  In Form von Tagebuchaufzeichnungen, die in zwei Teile zerfallen,  lässt er seinen Protagonisten und Kriegdienstverweigerer Louis Sacchetti, der sich plötzlich aus einem normalen Gefängnis in eine unterirdische Versuchseinrichtung verbracht sieht, die bedrückenden Geschehnisse schildern. Obwohl ihm zu Beginn mitgeteilt worden ist, dass er nur die Rolle eines Protokollanten habe, erfährt er nach einiger Zeit, dass er selbst mit der neuen Variante des Syphiliserregers, die zwar eine intelligenzsteigernde Wirkung hat, aber nach 8 Monaten mit Gewissheit zum Tode führt, infiziert worden ist. Minutiös beschreibt Louis, der nicht ganz frei von psychischen Problemen ist, die seltsame Konzentration der grotesk hochintelligenten und todkranken Patienten auf alchemistische Experimente, die letztendlich nur der Verschleierung eines geradezu wahnwitzigen Fluchtplanes dienen – und ihr Sterben.

Es kann jederzeit wieder geschehen

Dem ersten Roman Dischs ist deutlich anzumerken, dass er unbedingt ernst  genommen werden will. So wird nicht nur gleich zu Beginn auf Dostojevskijs berühmten „Vorläufer“ Aufzeichnungen aus einem toten Haus verwiesen, sondern es lassen sich auch später zahlreiche Bezüge zu Rilke, dem Faust-Motiv, Dantes Inferno und Miltons Paradise Lost finden. Die verschiedenen Charaktertypen, die sich unter dem Gefängnispersonal zu beobachten sind, werden recht genauer Studien unterzogen, und erinnern stark an verschiede Typen autoritärer Persönlichkeiten. Der Gefängnisdirektor selbst wird von der Hauptfigur des öfteren mit dem 1962 hingerichteten Adolf Eichmann verglichen, auf den er in seiner Gestaltung als bürokratischer Verwalter und letztendlich auch Mitinitiator des menschenverachtenden Verbrechens tatsächlich genauso verweist wie der Romantitel auf das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz, in welchem unter der Regie Joseph Mengeles vornehmlich die Experimente an den KZ-Insassen durchgeführt wurden. Und auch dieser findet ein Gegenstück in Person der eiskalten Ärztin Aimée Busk. Die Figuren und ihr Zusammenspiel wirken insgesamt gelungen und können überzeugen – auch gerade weil es manchmal zu geradezu grotesken Situationen kommt. Die Botschaft bzw. Warnung des Romans ist äußerst deutlich geraten – nicht zuletzt aufgrund der zeitlichen Verortung  der Handlung: Menschenverachtende Experimente wie die in Nazi-Deutschland können auch von anderen Staaten unter gewissen Voraussetzungen durchgeführt werden – auch in den U.S.A.

Im zweiten Teil führt Disch nach – dem Tode der ersten Versuchsgruppe – den Wissenschaftler Skilliman mit seinen ergebenen Studenten ein, die den Virus freiwillig an sich testen lassen. Diese nutzt er nicht zuletzt, um die thematische Auseinandersetzung um die Frage, inwieweit Wissenschaftler für ihre Forschung Verantwortung übernehmen sollten, zu erweitern und somit eine der zentralen ethischen Diskussionen im Zeitalter der Neutronenbombe im Werk aufzugreifen. Das wirkt ein wenig zuviel des Guten. Abgesehen davon gerät die Figur Skillimans auch in ihrer tiefen Boshaftigkeit und überzogenen Menschenverachtung viel zu stereotp, selbst wenn Disch hiermit vorführen will, dass die Zukunft der Menschheit insgesamt durch wissenschaftliche Arbeit bedroht wird.

Es ist doch schon geschehen

Man muss nicht unbedingt auf den Wert eines Romanes als Gegenwartsanalyse oder Zukunftsprognose verweisen, um die  Qualität desselben zu begründen. Man kann es aber. So weist der Heyne Verlag auch richtig im Klappentext  der Ausgabe von Camp Concentration aus dem Jahre 1983 darauf hin, dass die literarische Fiktion Thomas M. Dischs schon von der Realität eingeholt worden sei – waren doch Anfang der 80er Jahre Versuche bekannt geworden, bei denen schwarze Amerikaner von Regierungsorganisationen zu Forschungszwecken vorsätzlich nicht gegen die Krankheit behandelt worden waren. Was der Verlag aber noch nicht wissen konnte, war, dass Camp Concentration die Realität noch viel genauer getroffen hatte als gedacht – denn nicht nur waren in den 60er Jahren Krankheiten unbehandelt geblieben, sondern in den 40ern Menschen von der CIA auch vorsätzlich mit Syphilis- und Trippererregern infiziert worden, um die Wirksamkeit von Penicillin zu testen [Quelle: U.S.A. bedauern Menschenversuche (04.10.2010)].

In der unterirdischen halbgelungenen Anlage

Die einfache Anlage des Romanes als Tagebuch – und somit als Protokoll des Verbrechens aus der Perspektive eines Opfers war Disch nicht genug – durch eine raffinierte technische Einrichtung können sowohl die hübsche eiskalte Ärztin, als auch der eigentlich ganz sympathische Gefängnisdirektor die Aufzeichnungen Louis ohne Zeitverzögerung lesen. Die Einträge geraten somit nicht nur zu einem Dialog des Protagonisten mit dem Leser und sich selbst, sondern zudem mit weiteren Figuren, die selbstverständlich auch direkt auf die Äußerungen der Hauptfigur reagieren, woraus sich nicht wenige amüsante (und boshafte) Momente ergeben.

Stilistisch überzeugen kann vor allen Dingen der erste, teilweise brilliant wirkende Abschnitt des Werkes. Mit der wachsenden Intelligenz verändern sich die Tagbuchaufzeichnungen Louis’, bis am Protagonisten, der in Wahnvorstellungen verfällt, zuletzt erste negative Konsequenzen der Infektion bemerkt werden können. So etwas lässt sich erzählerisch aber nicht lange durchhalten, soll der Leser das Buch nicht entnervt zur Seite legen. Disch hat sich hier dementsprechend auf einige wenige Seiten beschränkt – danach gesundet der Patient vorerst wieder. Nicht nur die Figur Skillimans, sondern auch die spätere Rettung der Gefangene ex machina und der wenig glaubwürdige Verfall des Protagonisten, der zwar auf der Krankenstation liegt, aber immer noch weiterschreibt (wie eigentlich?) lässt den zweiten Teil schwächer erscheinen.

Fazit

Der manchmal etwas bemüht wirkende Roman Camp Concentration ist trotz einiger Schwächen gegen Ende des Romanes wirklich lesenswert – nicht nur weil die Figuren und die Reflektionen des Ich-Erzählers überwiegend gelungen sind, sondern weil der Disch eine Tiefe der Darstellung und Analyse erreicht, die überzeugen kann – und dabei trotzdem auf groteske und humorvolle Momente nicht verzichtet.

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