Harry Harrison: New York 1999

Eine Rezension von Rob Randall

Wenig Ähnlichkeit besteht zwischen Harry Harrisons Roman New York 1999, der 1966 unter dem Orginaltitel Make Room! Make Room! erschien, und seiner berühmten Verfilmung Soylent Green. Vor allem die Veränderungen, die die Handlung erfahren hat, sind auffällig – wenn auch nicht überraschend, wenn man den Roman kennt.

Beide Werke schildern eine überbevölkerten Welt der Zukunft, in der nicht nur die Bevölkerungsdichte die Menschen dazu zwingt, den nicht ausreichenden Raum der Großstädte miteinander zu teilen, sondern auch die Ressourcen nicht mehr genügen, um allen Menschen ein lebenswertes Dasein zu ermöglichen. Während allerdings Richard Fleischers filmische Adaption in einer Zuspitzung den Kannibalismus als staatliche Lösung einführt (Soylent Green ist Menschenfleisch!)  und in der Konfrontation von Held und repressiven System, welches die Natur der wichtigsten Nahrungsquelle zu verschleiern versucht,  den Eindruck vervollständigt, dass man es hier mit eine Dystopie zu tun hat, beschränkt sich Harrison darauf, anhand von drei miteinander verknüpften Lebensgeschichten ein panoramaartiges Bild der Lebens in einer überbevölkerten U.S.A. zu kreieren. Dabei gelingt es dem Autor nicht, seine Mischung aus Detektivroman und Liebesgeschichte derart zu verschmelzen, dass der Roman seine Spannung aus dem das Werk verklammendern Plot ziehen könnte. Der völlig überarbeite Kriminalpolizist Andy Rusch begibt sich zwar in der 35-Millionen-Stadt auf die Suche nach dem 18-jährigen Billy Chung, dem Mörder des mit besten Verbindungen in die Politik ausgestatteten Mike O’Brian, steht jedoch dieser Suche, die nur aufgrund des Drucks seines unsympatischen Vorgesetzen erfolgt, jedoch eher indifferent gegenüber. Dass er über seinen beruflichen Verpflichtungen trotzdem seine attraktive neue Freundin, die ehemalige Geliebte des Mordopfers, derart vernachlässigt, so dass sie letztendlich wieder zu ihrem alten Lebenswandel zurückehrt und sich einen Mann sucht, der ihr ein angenehmes Leben bieten kann, ist weniger auf Andys Einsatz bei der Jagd nach dem Taiwanesen Billy zurückzuführen als vielmehr auf die chronische Überlastung der unterbesetzten New Yorker Polizei. Gerade hier wird deutlich, dass es Harrison vorgezogen hat, den potentiell spannenden Plot zugunsten der Schilderung einer auf den Leser deprimierend wirkenden Welt hintenanzustellen – so sucht man denn auch Spieler und Gegenspieler in diesem Roman – im Unterschied zum Film – vergeblich.

Dafür bekommt der Leser aber in Harrisons tadellosen Stil ein erschreckendes Bild der Zukunft geboten: In den glühend heißen Straßen der Millionenmetropole New York stehen die stinkenden Massen an den Wasserausgabestellen an. Den Luxus einer Dusche könne sich nur die wenigen Reichen noch leisten. Die Lebensmittelversorgung ist nicht nur staatlich kontrolliert, sondern beschränkt sich auch weitgehend darauf, die Menschen mit wenig schmackhaften Algenkeksen vor dem Verhungern zu bewaren. Sollten irgendwo einmal Fleischimitate aus Sojabohnen erhältlich sein, kommt es zu Krawallen und Plünderungen. Da die Grenzen des industriellen Wachstums erreicht sind und Rohstoffe nicht mehr zu Verfügung stehen, existiert eine nennenswerte Industrieproduktion nicht mehr, daraus resultieren wiederum Arbeitslosigkeit, Armut und die hohen Sozialausgaben der öffentlichen Hand – weshalb die Einkommessteuer auch auf stolze 80 Prozent gestiegen ist. Konflikte zwischen dem von Klimaveränderungen geplagten ländlichen und urbanen Raum verschärfen die Situation weiterhin, denn das Wasser, das die Einwohner der Großstädte benötigen, muss von weither herangeführt werden – wo es dann jedoch zur Bewässerung der Felder fehlt. Das von Harrison entworfene Bild ist dabei nicht nur auf den ersten Blick ein pessimistisches: Denn dem staatliche Dirigismus, der sich in Rationierungen und Zwangszuweisungen von Wohnraum zeigt und mit dem die Katastrophe verwaltet werden soll, gelingt es nicht, die Situation zu entschärfen – auch weil angesichts der auf Gewurtenkontrolle verzichtenden Bevölkerungspolitik kein Ende absehbar ist. Hier verwaltet der Staat nur den Untergang.

Das Szenario, das Harrison 1966, also zu einer Zeit kreierte, als die Anti-Baby-Pille sich auch in den westlichen Industrieländern noch nicht überall durchgesetzt hatte, und mit dem er zu einer sofortigen Geburtenkontrolle auffordert, antizipiert in beeindruckender Weise die Folgen einer Bevölkerungsexplosion, die spätestens nach dem 2. Weltkrieg zu beobachten war, aber erst 1972 vom Club of Rome in der Studie Grenzen des Wachstums problematisiert und ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt wurde. Kein Wunder also, dass Soylent Green, der nur ein Jahr nach der kontrovers diskutierten Studie in die Kinos kam und sich vieler Ideen Harrisons bedient, so erfolgreich war – zumal er die wenig gelungene Anlage der Handlung des Romanes massentauglich korrigiert hat (der wieder einmal unmögliche deutsche Titel lautete übrigens: Jahr 2022…die überleben wollen).

Fazit

Auch wenn der eigentliche Plot von New York 1999 nicht ganz überzeugen kann, hat Harrison hier einen hochinteressanten und immer noch aktuellen Roman geschaffen, der in eindringlichen Bildern die Folgen einer ökologischen und wirtschaftlichen Katastrophe schildert, welche in globaler Sicht noch längst nicht abgewendet erscheint. Allerdings konnte ich mich für ihn nicht in gleicher Weise begeistern wie für Stanislaw Lems Roman Der futurologische Kongress, der sich mit der gleichen Problematik – allerdings in einer ganz anderne Weise –  auseinandersetzt.

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