Jean Paul: Die wunderbare Gesellschaft in der Neujahrsnacht

Eine Rezension von Rob Randall

Mir bisher unbekannt war, dass Johann Paul Friedrich Richter, besser bekannt unter seinem Pseudonym Jean Paul, schon 1801 eine kurze Erzählung verfasste, die in mehrfacher Hinsicht auch für die Science Fiction Literatur von Bedeutung gewesen ist. Denn in dem nur wenige hundert Zeilen langen Text findet nicht nur das Motiv des letzten Menschen zum ersten Mal Verwendung, sondern es wird hier auch erstmals in einem literarischen Text ein Dying-Earth-Szenario entworfen: So erscheinen dem Protagonisten und Ich-Erzähler wenige Stunden vor dem Jahrhundertwechsel drei Geister, die in ihrer boshaften und spöttischen Art dem Schriftsteller deutlich machen, dass auch er eines Tages nicht nur nicht mehr gelesen, sondern auch vergessen werden wird und schildern ihm zudem den Fortgang des Universums.

Der Text ist insgesamt nicht mehr ganz leicht zu konsumieren und man merkt ihm sein Alter deutlich an – allerdings birgt dieses auch einen gewissen Reiz, denn die Erscheinungen offenbaren dem Autoren (nur halbrichtig): 

Irgend einmal wird Sein und mein Deutsch, Freund, sich zu dem künftigen verhalten wie das in Enikels Chronik zum jetzigen; wir werden also geradesooft auf den Toiletten aufgeschlagen liegen als jetzt Otfrieds Evangelium, nämlich bloß um die einfältige Schreibart und die Reinheit der Sitten zu studieren an Ihm und mir. 

Auch wenn hier in einer nahezu grotesker Manier – die typisch für Jean Paul istKlamauk und Ernsthaftigkeit zu einer irritierenden stilistischen und inhaltlichen Mischung verbunden werden, gehören die Textsequenzen, welche die kosmologischen Entwicklungen beschreiben, neben denen aus Wells Zeitmaschine und Byrons Gedicht Darkness sicherlich zu den sprachlich schönsten Beschreibungen eines drohenden Endes, die mir bisher begegnet sind:

 Es gibt einmal einen letzten Menschen – er wird auf einem Berg unter dem Äquator stehen und herabschauen auf die Wasser, welche die weite Erde überziehen – festes Eis glänzet an den Polen herauf der Mond und die Sonne hängen ausgebreitet und tief und nur blutig über der kleinen Erde, wie zwei trübe feindliche Augen oder Kometen – das aufgetürmte Gewölke strömet eilig durch den Himmel und stürzet sich ins Meer und fährt wieder empor, und nur der Blitz schwebt mit glühenden Flügeln zwischen Himmel und Meer und scheidet sie – Schau auf zum Himmel, letzter Mensch! Auf deiner Erde ist schon alles vergangen – deine großen Ströme ruhen aufgelöset im Meere. – Die alten Menschen, in welchen die frühern Alten lebten, wie Versteinerungen in Ruinen, zergehen unter dem Meere – nur die Welle klinget noch, und alles schweigt, und das Geläute der Uhren, womit deine Brüder die Jahrhunderte wie einen Bienenschwarm verfolgten, regt sich nicht im Meeressand…

Wer sich also für das Motiv des letzten Menschen oder apokalyptische Szenarien interessiert, sollte nicht nur Cousin de Granvilles Roman Le Dernier Homme aus dem Jahre 1805 oder Mary W. Shelleys  Verney, der letzte Mensch von 1826 zur Hand nehmen, sondern ruhig auch 20 Minuten in die kleine, manchmal durchaus witzige, Erzählung von Jean Paul investieren.

Kostenlos lesen lässt sich Die Wunderbare Gesellschaft in der Neujahrsnacht übrigens auf Zeno.org.

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