Ulrich C. Schreiber: Die Flucht der Ameisen

Eine Rezension von Rob Randall

Der Duisburger Professor für Allgemeine Geologie Ulrich C. Schreiber veröffentlichte 2006 sein literarisches Erstlingswerk Die Flucht der Ameisen, das werbewirksam mit dem Untertitel Eine geokalyptische Vision versehen  und dem unbekannten Genre des Geo-Trillers zugeordnet wurde. Tatsächlich nimmt die Katastrophe vor der Haustür – denn der Roman spielt am deutschen Rhein – apokalyptische Dimensionen an: Ein durch den den Professor für Geologie Gerhand Böhm vorausgeahnter Vulkanausbruch verheert nicht nur durch pyroklastische Ströme die Umgebung, sondern „verstopft“ durch den ununterbrochenen Ausfluss von Lava den  schönen Rhein. Und wenn Professor Böhm nicht gerade durchs Unterholz kraucht und/oder versucht die nach und nach abgluckernden Städte zu retten,  begibt er sich auf die Spur des sagenhaften Nibelungenschatzes des Hagen von Tronje und seiner eigenen Gene.

Als erstes ist dem Roman anzumerken, dass er von einem Autor geschrieben wurde, der von der Materie, die er behandeln will, wirklich etwas versteht – in positivem wie in negativem Sinne: So lernt der interessierte Leser zwar auf den ersten 30 Seiten eine Menge über die geologische Beschaffenheit der Umgebung des Laacher Sees, aber die gerade noch zu einem Gespräch zwischen Gerhard Böhm und seiner Frau Katrin literarisierten wissenschaftlichen Erläuterungen sowie die an eine Vorlesung gemahnenden Ausführungen des Erzählers ermüden doch stark: Der Aufschluss, den Gerhard jetzt suchte, lag genau unterhalb der Abfolge von Trass, Schwemmfächer und Mittelterasse in den wenig spektakulären Sand- und Tonsteinen des Grundgebirges.

Wie so häufig bei Erstlingswerken wird man den Eindruck nicht los, dassich hinter dern im Mittelpunkt der Handlung stehenden Figuren des Professors der Geologie Böhm und seiner Frau Katrin der Autor bzw. Professor der Geologie Schreiber und  seine Frau Katrin verbergen – nicht zuletzt auch deshalb, weil Professor Böhm die gleiche sensationelle Entdeckung macht wie Professor Schreiber es einst tat: Zwischen tektonischen Störungen und Ameisenhügeln gibt es nicht nur einen statistischen, sondern auch einen kausalen Zusammenhang. Wenn die übrigen Figuren in einem solch stark perspektivierten Roman dann weitgehend als Stichwortgeber des belehrend und mit seinen Vorahnungen meistens richtig liegenden Protagonisten auftreten, dann beschleicht den Rezipienten zu recht ein ungutes Gefühl.

Die zu Beginnn recht zähe Handlung kommt erst wirklich ins Fließen, als der Rhein endlich steht. Schreiber liefert nicht nur pointierte Beschreibungen der katastrophalen Auswirkungen eines – zugegeben: nicht sehr wahrscheinlichen – Vulkanausbruches in einer dicht besiedelten deutschen Landschaft, sondern rückt auch einige interessante Aspekte ins Blickfeld, die man erst nicht erwartet hätte. So bedroht der langsam aufgestaute Rhein nicht nur die Menschen und ihr Hab und Gut, sondern auch die oberhalb des Lavadammes gelegenen Atomkraftwerke. Tasächlich liefert Schreiber sogar das groteske Bild eines durch den eigenen Auftrieb dahindümpelden Atomkraftwerkes, geht aber überraschenderweise auf die strahlenden Folgen einer solchen Katastrophe nicht weiter ein, was zeigt, dass zwar das apokalyptische Bedrohungsszenario eines atomaren Unglückes zwecks Belehrung und Spannungssteigerung aufgebaut werden soll, dieses aber wie andere angedeutete  Gefahren letztlich zum Blindmotiv verkommt. Das erscheint glücklich, aber wenig überzeugend.

[Warnung: Spoiler]

Leider versucht der Autor zudem die Handlung abwechslungsreicher zu gestalten, indem einen obskuren Nebenstrang entwirft, in dem der Protagonist nicht nur in amouröse Schwierigkeiten zu geraten droht, als er eine ehemalige Freundin wiedertrifft, sondern auch der Vermutung nachspürt, dass es sich bei dem in ihrem Besitz befindlichen Ring um einen Teil des Nibelungenschatzes – womöglich sogar DEN Ring der Nibelungen handelt.  Diese Nebenhandlung wirkt wie ein Fremdkörper, zumal Böhm, nachdem seine Ex-Freundin bei dem von ihm initiierten Versuch, den Ring aus den untergegangenen Habseligkeiten zu bergen, ums Leben gekommen ist, mit überraschend unbewegter Geschwindigkeit in die Haupthandlung zurückfindet. Da erscheint der beschriebene Ehekrach mit Katrin, der spätestens dann vorprogrammiert ist, als Böhm gestehen muss, dass die während eines Seitensprunges entstandenen Töchter seiner Exfreundin seine eigenen sind, gelungener.

[Entwarnung]

Schreiber bietet in seinem sprachlich gelungenen Roman eine ganze Reihe von spannenden Situationen, die die Bezeichnung Thriller rechtfertigen, letztendlich aber den Leser doch nicht vollends zu fesseln vermögen. Inwiefern das gigantische Dammprojekt, das eine durch erneute Vulkanausbrüche hervorgerufene Flutwelle von besiedelten Gebieten abhalten soll, realistisch ist, vermag ich nicht zu sagen. Aber eine gewagte Vision ist es – wie das ganze Szenario – mit Sicherheit.

Fazit

Ich konnte mich für Die Flucht der Ameisen von Ulrich C. Schreiber nicht begeistern, vielleicht mag dieses aber geologisch interessierteren Lesern gelingen. Da ich mich einst dafür entschieden habe, nur zwischen nicht empfehlenswerten und mittelmäßigen Romanen sowie Werken, die man unbedingt gelesen haben sollte, zu unterscheiden, kann ich leider nicht zwei von fünf Sternen vergeben, sondern nur sagen: Aus guten Gründen nicht. 

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