Gottfried Meinhold: Sein und Bleiben

Eine Rezension von Rob Randall

1983: Ein DDR-Schriftsteller verspricht vor Publikum in Prag ein Buch über die Folgen des drohenden Atomkrieges zu verfassen. So wirklichkeitsnah wie möglich soll es sein, die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse widerspiegeln und den Schrecken wahrhaftig im ganze Ausmaß der Zerstörung und Vernichtung zeigen – jenseits jener Abenteuergeschichten und Robinsonaden, die das Genre zwar beherrschen, aber das Thema selbst nur trivialisieren. So, als gäbe es tatsächlich ein Danach. Jahre seines Lebens soll Burk dieses Vorhaben kosten, seine Lebensfreude, seine psychische und körperliche Gesundheit – und beinahe seine Ehe. Denn geradezu manisch verfolgt der Protagonist das politische Geschehen der folgenden Monate und Jahre als dunkle Vorzeichen eines drohenden Unterganges. Zwar leidet er selbst unter der Fixierung auf sein Werk, das zwei mal nicht gelingen will, weil es nicht gelingen kann – die Kraft, sein Scheitern einzugestehen, bringt er jedoch nicht auf. Erst als er beschließt sein Scheitern zum Mittelpunkt einer Erzählung über das Leben mit der Furcht zu machen, beginnt er langsam zu genesen – obwohl es längst zu spät sein könnte.

Sicher: Das 1989 in der DDR erschienene Buch Sein und Bleiben von Gottfried Meinhold ist keine Dystopie. Auch ein Katastrophenroman oder ein Endzeitszenario ist das Werk nicht.  Es ist viel mehr: Sein und Bleiben ist ein Roman über das Schreiben von postapokalyptischer Literatur im Angesicht der nuklearen Bedrohung, über die Denkbarkeit des Undenkbaren und die Möglichkeiten seiner literarischen Beschreibung.  Dieses aus Sicht der DDR-Ideologen defätistische Werk thematisiert zudem die spätestens seit Beginn der 80er Jahre auch  in der DDR zunehmend wahrgenommene – allerdings in der Öffentlichkeit durch Zensur ausgeblendete –  Umweltzerstörung.  Dabei ist der Text des emeritierten Professors aus Jena kein optimistische Werk, das vom Glauben an den Fortschritt  zeugt, sondern eines voller Sorge, voller Furcht und Angst im Schatten des beschleunigten Rüstungswettlaufes, des NATO-Doppelbeschlusses und der Stationierung von Pershing 2 und SS-20 Raketen diesseits und jenseits der deutsch-deutschen Grenze. Ein verdienstvolles Zeugnis aus der letzten und kältesten Phase des Kalten Krieges, das zuletzt dennoch aufgrund von Glasnost und Perestroika mit der vagen Hoffnung auf Davonkommen, wenigstens vor einem plötzlichen Ende, schließt.

Die Unerträglichkeit des Kreiselns

Wie so oft in der neuen Innerlichkeit der Literatur der siebziger und achtziger Jahre verschwimmen im Werk die Grenzen zwischen der Figur des Ich-Erzählers und der Person des Autors. So thematisiert der Roman in der vorliegenden Form nicht nur die Ablehnung eines ersten Entwurfes durch den Verlag, sondern autopoetisch die Genese des Entschlusses Sein und Bleiben zu verfassen. Durch ein solches Verfahren muss die Literarisierung von Denkprozessen des Autors nicht unbedingt scheitern – aber das Werk läuft Gefahr zum Forum von Befindlichkeiten zu verkommen. Die Sensibilität, mit der Meinhold zudem seine Figuren ausstattet, selbst wenn man die manische Besessenheit des Protagonisten berücksichtigt, ist nur schwer erträglich. Ein starkes Gewitter könnte, so hat man manchmal das Gefühl, wie bei Werther in Strömen Tränen fließen lassen.  Die manische Fixierung Burks auf den Untergang der Menscheit macht dieses insgesamt nicht glaubwürdiger und lässt den Roman  zudem unter Zurücknahme der äußeren Handlung zu einer kreiselnden Reflexionsbewegung werden, die zwar viele Facetten des Themas ‘Selbstvernichtung des Menschen’ zu beleuchten vermag, allerdings auch mit ermüdenden Redundanzen aufwartet.

Berechtigte wie unberechtigte Kritik

Man muss Karsten Kruschel zustimmen, wenn er in seiner Besprechung von Sein und Bleiben festhält, dass das von Burk geschaffene Werk als Buch im Buch […] zu den packendsten Stellen des Romans [gehört]. Eine hoffnungslose Untergangsvision, die den Fehler von Nevil ShuteOn the Beach, das allgemeine Sterben mit traditionellen Mittel zu ästhetisieren zwar nicht wiederholt, trotzdem aber auf bekannte Muster abenteuerlichen Erzählens setzt. Zudem entströmt ihr in der Schilderung des  vielfachen Siechtums von Bäumen, höheren Lebewesen, dem Zusammenbruch der ökologischen Kreisläufe und er herannahenden Strahlung eine Hoffnungslosigkeit, die den geschockten Leser passiv seinem Untergang entgegen sehen lässt.  Meinhold verdeutlicht so gekonnt die Unmöglichkeit eines angemessenen literarischen Sprechens vom Untergang. Die Alternative, die der Protagonist wählt, indem er fiktive Augenzeugen- und Leidensberichte der zukünftigen Opfer collagenhaft zusammenstellt, degradiert den Autor zum Medium jener Stimmen, die zu ihm sprechen, und stellt somit keinen Ausweg aus dem literarischen Dilemma dar. Dass Meinhold ausgerechnet den Roman Malevil von Robert Merle als Anlass nimmt, Burk nach Alternativen des Erzählens suchen zu lassen, erscheint ungerecht. Merle will weniger das Leben nach einem Atomkrieg schilden, denn gruppendynamische Prozesse untersuchen. Malevil ist eine psychologische Fallstudie, aber kein Abenteuerroman, der die Nachgeschichte des Unterganges als Sujet missbraucht und so den Atomkrieg bagatellisiert – wenn man Burk auch Recht geben kann, dass es derer viel zu viele gibt (Beispiele hierfür sind z.B: Macauleys Dunkel kommt die Zukunft oder Hans Wörners Wir fanden Menschen).

Fazit

Mir sagt der Roman Sein und Bleiben wenig zu. So anspruchsvoll und ehrenhaft die Aufgabe ist, derer sich Gottfried Meinhold angenommen hat, vielleicht wäre die Form des Essays oder der Autobiografie (?) sinnvoller gewesen. Wer den 278-Seiten-Roman lesen möchte, sollte genügend reflexive Kondition und Empathie für die Figuren mitbringen. Mir mangelte daran jedoch.

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