Suzanne Collins: Die Tribute von Panem

Eine Rezension von Rob Randall

In diesen Tagen ist gerade der dritte Teil Flammender Zorn der Trilogie Die Tribute von Panem von Suzanne Collins erschienen. Und schon im Vorfeld der Veröffentlichung erreichte der Roman beeindruckende Zahlen bei den Vorbestellungen. Wenn ein dystopischer Jugendroman auch jenseits der eigentlichen Zielgruppe eine solche öffentliche Aufmerksamkeit erfährt, ist das Grund genug, einmal genauer hinzusehen und die Frage zu stellen, warum die Reihe, welche mit dem 2008 erschienenen Roman Tödliche Spiele (The Hunger Games) beginnt, so erfolgreich ist.

Inhalt

Die Halbwaise Katniss lebt mit ihrer Mutter und ihrer kleinen Schwester Prim im 12. Distrikt eines zeitlich kaum zu verortenden Staates auf dem Boden der ehemaligen U.S.A. Die kleine Familie vegetiert wie die meisten anderen aufgrund der an imperialistische Methoden gemahnenden Ausbeutung durch die Zentrale des Reiches – dem Kapitol – am Rande des Existenzminimums und müsste mit Sicherheit hungern, wenn Katniss sich nicht verbotenerweise als ausgezeichnete Jägerin hervortun würde. Als bei den jährlich vom Kapitol als Zeichen der Vorherrschaft auf Kosten der 12 Distrikte veranstalteten Hungerspielen das Los auf ihre kleine Schwester Prim fällt, beschließt Katniss an ihrer Stelle gegen die 23 anderen Tribute zu kämpfen – auch wenn ihre Chancen, die letzte Überlebende dieses medialen Großereignisses zu sein, gering sind. Denn zum einen hat bisher nur ein einziger Tribut des recht armen 12. Distriktes jemals die Spiele überlebt und zum anderen scheint dieser aufgrund seiner notorischen Trinkerei keine große Hilfe als “Manager” zu sein. Nachdem die Teams um Katniss und Peeta – dem zweiten Tribut aus Distrikt 12 – das Image der beiden angemessen aufgebaut haben, so dass auch während der laufenden Spiele Hilfe von Sponsoren zu erwarten ist, werden die 24 Jugendlichen im Alter von 12 bis 18 Jahren in der künstlichen Landschaft des Kampfareals ausgesetzt. Und schon wenige Sekunden nach dem Beginn der Spiele scheiden blutig die ersten Opfer aus dem Kampf ums Überleben aus – und Katniss ist nicht wohl bei dem Gedanken, Peeta womöglich töten zu müssen – vor allem, weil dieser in einem Interview gestanden hat, in sie seit Jahren verliebt zu sein… oder ist das Taktik?

Belletristisches Erzählen

Eines ist an Die Tribute von Panem besonders auffällig: Während sich in anderen dystopischen Jugendromanen wie Paolo Bacigalupis Ship Breaker und John Christophers Die Wächter eine (wenn auch insgesamt schwache) Wirkungsabsicht erkennen lässt, ist dieses bei Collins nicht mehr der Fall. Insofern wird hier das dystopische Genre – wenn man nicht die Hungerspiele als eine Warnung vor einer zukünftigen Entwicklung der Medienlandschaft oder als Parabel auf die ökonomische Einrichtung unserer heutigen Welt sehen will – seiner eigentlichen Funktion beraubt. Collins erzählt folglich eine interessante, den Leser immer wieder fesselnde Geschichte, die in einer dystopischen Gesellschaft angesiedelt ist, mit dem Ziel der reinen Unterhaltung. Das muss auch bei Jugendliteratur nicht so sein und man könnte dieses genrefremde belletristische Erzählen möglicherweise auch verurteilen – wenn die Geschichte um die sympathische Katniss nicht so verdammt spannend wäre…

Kriegerprinzessin Katniss

Interessant fand ich, wie Collins die Erwartungshaltung ihrer Leserschaft antizipiert: So werden die Vorbereitungen zu den Spielen, während denen Katniss in verschiedenen Kostümen der Öffentlichkeit präsentiert wird, vor allem zu Beginn in aller Ausführlichkeit geschildert: Die Kleider, die Schuhe, das Makeup, die Diskussion der (auch harmlos erotisierenden) Wirkung auf das begeisterte Publikum, die Maniküre der Fingernägel, das Frisieren der Haare – kurz: Die Präsentation von Katniss als Prinzessin zeigt deutlich, dass wir es hier mit einem vornehmlich für die junge Damenwelt verfassten Roman zu tun haben, wobei meine männliche Schmerzgrenze dabei allerdings (noch) nicht überschritten worden ist, zumal diese Ausführungen gegen Ende immer kürzer werden und die darauffolgenden Schilderungen der durchaus blutigen Kämpfe in der Arena das Durchhalten belohnen. Denn die Handlung fesselt auch den erwachsenen (männlichen) Leser vor allem aufgrund des vom System gnadenlos inszenierten Kampfes aller gegen alle, den Katniss nur durch den Einsatz all ihrer Intelligenz und als Jägerin erworbenen Fähigkeiten überleben kann. Vor allem dieser Hauptabschnitt des Romans ähnelt damit den vielen Abenteuer- und Survival-Romanen, welche die Jugend- und Jungenliteratur des 20. Jahrhunderts so bestimmt haben – wenn auch der Rahmen des “Spiels” dem Ganzen einen neuen Anstrich verleiht. Deshalb dürften die Tribute von Panem auch eine so breite Leserschaft gefunden haben: Collins bedient gekonnt die traditionell männlichen wie modernen weiblichen Erwartungshaltungen (zu letzteren dürften auch schon die Kämpfe gehören), was sich vor allem bei der Inszenierung der unvermeidlichen Liebesgeschichte zeigt. So fluktuiert diese im Verlauf der Hungerspiele mehrfach (und bis zuletzt) zwischen romantischer Liebe und berechnender Inszenierung, was nicht nur den neugierigen Leser durch die Seiten vorwärtstreibt, sondern auch die emotionale Dimension der Beziehung zwischen den beiden Hauptfiguren Katniss und Peeta bis zur Erträglichkeit abtönt. Nicht unbedeutend dürfte dabei auch der Faktor sein, dass Katniss bei der Inszenierung als Prinzessin, als Kriegerin und sogar als Teil einer Liebesgeschichte weitgehend passiv bleibt. Dort wo sie tatsächlich aktiv wird, geschieht dieses aus reiner Berechnung. Dieses schafft deutliche Distanz zu den Vorgängen und bietet Lesern, die dem Präsentierten eher kritisch gegenüberstehen, die Möglichkeit, sich weiterhin mit der Figur  Katniss zu identifizieren –  denn diese macht sich nicht selbst aus Neigung zur Prinzessin oder Kriegerin.

Collins gelingt es zudem, der Persönlichkeit der Ich-Erzählerin Tiefe und Plastizität zu verleihen. Katniss wirkt sympathisch und man identifiziert sich gerne mit ihr – wobei sie dem, was mit ihr geschieht, genauso neugierig und manchmal auch ratlos gegenübersteht wie der Leser. Es ist auch diese eingeschränkte Perspektive, die das Buch bis zuletzt so spannend macht. Sympathieträgerin ist die Figur von Beginn an für den jugendlichen Leser schon mit Sicherheit deshalb, weil Katniss als Tochter zwar bereitwillig für ihre Familie sorgt, dabei aber systematisch die Regeln des Systems bricht – zumal ihre Out-Law-Tätigkeit als Jägerin in dem vom Staat genretypisch tabuisierten Raum der Freien Natur sie ziemlich ‘cool’ wirken lässt.

Fazit

Suzanne Collins Roman Die Tribute von Panem – Tödliche Spiele scheint mir gerade deshalb so erfolgreich zu sein, weil zum einen die Protagonistin in ihrer  Doppelnatur von eher femininer Fürsorge und traditionell eher männlichem Ausbruch sowie ihrer Inszenierung als Prinzessin und Kriegerin sympathisch emanzipiert wirkt – und zum anderen, weil die Handlung verschiedene Motive klassischer Jugendliteratur für Mädchen und Jungen gekonnt miteinander verknüpft. Und nicht zuletzt: weil der nicht sehr tiefgängige Roman einfach sehr gut erzählt ist.

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