Was sagen Klappentexte eigentlich aus? Eine Kontrolle anhand Stephen Baxters „Die Flut“. Eine Rezension von Rob Randall
Eine der für mich spannenden Neuerscheinungen dieses Monats war der Katastrophenroman Die letze Flut von Stephen Baxter. Nicht nur, dass der Titel des 750 Seiten umfassenden Werkes vielversprechend verhängnisvoll klingt, auch der Klappentext ließ einiges erwarten:
Die nahe Zukunft: Der Meeresspiegel steigt rasant an. Städte werden überflutet, Millionen von Menschen sind auf der Flucht. Was ist die Ursache für diese verheerende Flut? Der Klimawandel? Als die Wissenschaftlerin Thandie Jones eine sensationelle Entdeckung macht, beginnt ein gnadenloser Wettlauf mit der Zeit. Denn die Flut bedroht das Überleben der ganzen menschlichen Zivilisation.
Die nahe Zukunft
Obwohl diese drei Wörter den Sachverhalt nicht direkt falsch beschreiben, sind sie doch trügerisch. Zum einen verschleiern sie in ihrer Kürze und Unverbindlichkeit die epischen Dimensionen des Romans – denn die Handlung umfasst den Zeitraum vom Juli 2016 bis zum Mai 2052 – und zum anderen schweigen sie sich bewusst über den Ort des mehrere Generationen umfassenden Geschehens aus. Diesen zu benennen fällt tatsächlich nicht so leicht. Das geht der Protagonistin am Anfang (und am Ende) des Romans übrigens ähnlich: Befindet sich Lily doch zu Beginn in der Hand religiöser Fanatiker irgendwo in Spanien und braucht nach ihrer Befreiung durch die Männer des Milliardärs Nathan Lammockson einige Zeit, um die Folgen der fünfjährigen Geiselhaft zu verarbeiten. Damit sorgt Baxter gleich am Anfang nicht nur für Spannung: Ihm gelingt es so geschickt, den zeitlichen Abstand von 5 Jahren zwischen dem Leser und der fiktionalen Welt zu schließen, indem ersterer mit Lily das erschreckende Novum des Szenarios entdecken lässt:
Der Meeresspiegel steigt rasant an. Städte werden überflutet, Millionen von Menschen sind auf der Flucht
Studien von heute beweisen: Immer häufiger werden die Menschen von Naturkatastrophen getroffen, die man als Folgen der klimatischen Veränderungen interpretieren kann. Als Beispiel dieser Tage ließen sich die Überflutungen in Australien anführen [Quelle: Spiegel], wenn nicht die immer häufigeren Sturmfluten und immer stärkeren Regenfälle in Bangladesch viel problematischer wären [Quelle: Dierke]. Das Thema des Romans wirkt also auf den ersten Blick höchst aktuell und so scheint es wenigstens nachvollziehbar, wenn ein engagierter Autor in aller Breite Überschwemmung auf Überschwemmung auf Überschwemmung auf Überschwemmung und die Flucht zu Fuß und die Flucht im Hubschrauber und die Flucht im Boot bis zur totalen Ermüdung des Lesers beschreibt. Nicht dass die von Baxter geschilderten Ereignisse nicht beeindruckend wären, – sie ähneln sich nur zu stark. Und das jedes Mal, wenn wieder eine Hauptstadt in dem 750-Seiten-Roman versinkt.
Was ist die Ursache für diese verheerende Flut? Der Klimawandel?
Baxters Text scheint auf den ersten Blick engagiert und aktuell – er ist es aber nicht. Denn die Thematisierung der schleichenden ökologischen Veränderungen bereitet durchaus literarische Probleme. Der momentane Anstieg des Meeresspiegels beträgt heute gerade mal 3,2 mm im Jahr [Quelle: CSIRO Marine and Atmospheric Research]. Damit lässt kein Thriller machen. Aus diesem Grund sucht Baxter leider die Zuflucht in einem Szenario, das entgegen der eigenen Zielsetzung doch höchst unrealistisch wirkt. Ein exponentiell zunehmender Anstieg der Ozeane, der letzten Endes zu einem Meeresspegiel von mehr als 8000 Meter über Normal-Null liegt. Das erinnert ein wenig an das Gedankenexperiment Der Sturm aus dem Nichts von James Graham Ballard – auch dort verdoppelt die Naturgewalt innerhalb eines gewissen Zeitraumes ihr Potential. Allerdings kommt der Roman von Baxter nicht als Experiment daher – dafür spricht schon die Inanspruchnahme moderner Erkenntnisse über im Erdmantel eingeschlossene Wassermassen, die hier das Ende der Menschheit herbeizuführen drohen. Zuletzt bemüht der Autor sogar durch den Mund einer seiner Figuren die von Lynn Margulis und James Lovelock formulierte Gaia-Hypothese, womit der Roman dem Bereich des New-Age am Ende bedrohlich nahe kommt.
Als die Wissenschaftlerin Thandie Jones eine sensationelle Entdeckung macht, beginnt ein gnadenloser Wettlauf mit der Zeit.
Der an die ungeschriebenen Gesetze des Klappentext glaubende Leser könnte eigentlich vermuten, dass Wissenschaftlerin Thandie Jones eine wichtige Figur – eigentlich sogar die Hauptfigur – wäre. Sie ist es aber nicht. Zwar entdeckt diese jene oben genannte Ursache für den Anstieg der Meere und versucht die restlichen auffallend stereotyp und geradezu bösartig borniert gezeichneten “konventionellen” Klimaforscher [Anmerkung: Die Gegner der Gaia-Hypothese?] vergeblich von ihrer Theorie zu überzeugen, aber ansonsten konzentriert sich die multiperspektivisch personal erzählte Handlung eigentlich auf die eingangs erwähnte Pilotin und Ex-Geisel Lily. (Auch wenn hier und da – gerade so, wie man es braucht – andere Figuren als Reflektorfiguren herhalten müssen.) Wir erfahren ein wenig über Lilys vor dem Untergang Londons fliehende Familie, wir entdecken mit ihr und Thandie in den Tiefen des Atlantiks die entsetzliche Wahrheit und wir erleben sie beim häufigen (teilweise geradezu grotesk unglaubwürdig wirkenden) Wiedersehen mit den anderen Geiseln. Bezeichnender Weise stürzt sich Lily – wie übrigens die anderen Figuren auch – zu Ungunsten der vom Autor generell völlig vernachlässigten Handlung – immer mal wieder in Lebensgefahr und liefert damit beeindruckende Beschreibungen von – genau: Überschwemmungen. In den meisten Fällen verfügt sie dabei übrigens über einen Hubschrauber, weil sich so die zerstörerische Kraft der Naturgewalt im Panorama besser beschreiben lässt.
So wenig wie Thandie also im Zentrum der Handlung steht, so wenig lässt sich das, was Lily erlebt, eigentlich als von ihr beeinflussbar ansehen. Der spannende Wettlauf, den uns der Klappentext verspricht, ist ein quälend oft entfaltetes Fortlaufen vor den unaufhaltsam ansteigenden Wassermassen, der keine Spannung jenseits des eigentlich kurzen, hier aber in seiner ritualisierten Wiederkehr bis an die Grenze des Erträglichen gedehnten Unterganges zulässt. Jenseits diesem gelingt es Baxter insgesamt nicht, eine Handlung zu schaffen, die in der Lage wäre, die zahlreichen und insgesamt mehrere Jahrzehnte Erzählzeit umspannenden Kapitel sinnvoll zu verklammern – und so verlegt er sich auf Tricks: Hin und wieder entführt uns die Odyssee der Figuren an exotische Orte: Die Anden, Tibet, Mexiko und Nepal. Einige Figuren begegnen zudem dem Leser immer wieder und teilweise kommt es unter diesen zu Familiendramen, die dem Niveau heutiger Nachmittagtalkshows in nichts nachstehen: So gelingt es Lily beispielsweise [ACHTUNG: Jetzt wird’s kompliziert!] die der Vergewaltigung durch einen saudischen Prinzen entsprungenen und später entführten Tochter (Grace) einer sich in der Suche nach ihrer Tochter aufopfernden Exgeisel (Helen) an Bord eines Raumschiffes zu bugsieren, weil diese nach der Zwangsheirat mit dem Sohn des auf Fortbestand seines Erbgutes bedachten einstigen Retters Lammockson, auch dessen Gene in sich trägt – womit der seinen Vater hassende Sohn Lammocksons natürlich zurückbleibt, was aber auch nur halb so schlimm ist, denn dieser wollte Grace gar nicht so richtig. Da wäre mir fragmentarisches Erzählen dann tatsächlich lieber gewesen.
Denn die Flut bedroht das Überleben der ganzen menschlichen Zivilisation
Den Inhalt des Romans Die letzte Flut empfand ich – entgegen der sprachlichen Gestaltung übrigens – als völlig unbefriedigend. Der letzte Satz des so neugierig machenden Klappentextes hätte eigentlich zur Gänze ausgereicht, um den Inhalt von Die letzte Flut in angemessener Weise zu beschreiben. Vielleicht hätte man diesen auch einfach mehrfach hintereinander abdrucken sollen. Und das immer wieder.