Eine Rezension von Rob Randall
„Schwarzes Pferd Eins Null, Schwarzes Pferd Eins Null, hier Schaufel Sechs. Bestätigen Beobachtung Charlie Eins wie folgt: großer Panzerverband hat innerdeutsche Grenze überschritten. Besteht aus Tango Romeo (BRT) 62 und Tango (T) 72.“
Mit einem Satz wie diesem beginnt für die Bundesrepublik der Dritte Weltkrieg. Zumindest nach Auffassung Sir John Hacketts und deshalb eröffnet er sein 1978 erschienenes Werk auch damit. Wie irritierend das zu Beginn für den militärisch unkundigen Leser sein mag – er merkt sehr schnell: Der Autor, der lange Zeit Oberbefehlshaber der Britischen Rheinarmee und später Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Nord der NATO war, kennt sich wirklich aus. So richtig. Das ist es auch, was das Buch Der Dritte Weltkrieg eigentlich interessant macht. Hier entwirft endlich einer der hohen Funktionsträger ein höchst erschreckendes, aber sehr lehrreiches, Szenario. Seinen geradezu eigenartigen Charakter erhält das Buch dabei nicht nur durch den militärischen Jargon, den der Autor die ganze Zeit über beibehält, sondern zudem durch seine Anlage. Denn Hackett hat nicht etwa einen Roman verfasst, sondern eine sich als Analyse gerierende Dokumentation eines schon beendeten Dritten Weltkrieges.
Das Szenario
Die mit Unzufriedenheit unter der Bevölkerung in den Warschauer-Pakt-Staaten kämpfende U.D.S.S.R. sucht ihr Heil in mehreren außenpolitischen Abenteuern, welche zwar nicht von der schlechten wirtschaftlichen Situation und der zunehmenden Mangelwirtschaft ablenken, aber die wachsende politische Anziehungskraft der U.S.A. schmälern könnten. Neben Südafrika und Arabien steht dabei Jugoslawien, das sich weiter von der U.D.S.S.R. lösen will, im Zentrum der Pläne. Nach einem Einmarsch des Warschauer Paktes in das Balkanland entsenden die U.S.A. eine kleine Truppe, welche die sich verselbstständigenden Republiken Kroatien und Slovenien schützen soll. Ungeplant kommt es zu Schusswechseln zwischen den beiden Großmächten. Die Hardliner im Kreml drängen daraufhin auf einen breiten Vormarsch zum Rhein.
Nachdem die Mobilisierung unter dem Deckmantel eines großangelegten Manövers auf östlicher Seite abgeschlossen ist, durchbrechen am 4. August 1985 große Panzerverbände die Grenze zur Bundesrepublik und Österreich, während ein amphibisches Landungsunternehmen Norwegen bedroht. Obwohl die aufmerksame NATO nicht ganz unvorbereitet ist, kann sie die den zahlenmäßig weit überlegenen Gegner, trotz französischer Hilfe, nicht stoppen. Nach 48 Stunden überschreiten die ersten russischen Einheiten die niederländische Grenze. Erst nachdem die Luftstreitkräfte der Staaten des Nordatlantikpaktes stellenweise aufgrund ihres technischen und logistischen Vorsprunges die Lufthoheit wieder hergestellt haben und die Marinestreitkräfte einen Nachschubkonvoi durch die auf der Lauer liegenden sowjetischen U-Boote gekämpft haben, wendet sich langsam das Blatt.
Weil allerdings die sich verschlechternde militärische Lage zunehmend die innenpolitische Stabilität des sowjetischen Imperiums bedroht, greifen die Hardliner in der Moskauer Führung zu einer drastischen Maßnahme, welche die NATO-Staaten an den Verhandlungstisch zwingen soll: Eine SS-17 zerstört die britische Stadt Birmingham. Doch der Plan der Falken im Kreml geht nicht auf: Nach der völligen Auslöschung der Stadt Minsk durch das britische Polaris-System zeigt sich der Westen zwar verhandlungsbereit, allerdings zerbricht die U.D.S.S.R. sofort aufgrund eines internen Putsches sowie nationaler Bestrebungen der einzelnen Republiken.
Eine Analyse der Verteidigungsfähigkeit der NATO
Man merkt dem Werk deutlich an, welche Wirkungsabsicht der Autor mit ihm verfolgt. Seiner Ansicht nach wäre die NATO Ende der 70er Jahre nicht im Stande, einen Angriff der U.D.S.S.R. auf den Westen mit konventionellen Mitteln zurückzuschlagen. Der in diesem Fall aufgrund der Doktrin der Flexible Response von der NATO vorgesehene Einsatz von nuklearen Gefechtsfeldwaffen könnte schnell zu einem mit strategischen Nuklearwaffen geführten umfassenden Schlagabtausch eskalieren. Und so steht hinter der gesamten Schilderung des Dritten Weltkrieges die auch mehrfach explizit gestellte Forderung nach einer allgemeinen konventionellen Aufrüstung der NATO-Staaten – zumindest in einem solchem Umfange, dass die auf einen schnellen militärischen Erfolg angewiesenen Streitkräfte der U.D.S.S.R. an ihrem Vormarsch zum Rhein aufgehalten werden könnten. Wenn man einen Atomkrieg verhindern will. Wie dieses gelingen kann, möchte Hackett in seinem Buch zeigen, und so erfährt der Leser eine ganze Menge über die Vor- und Nachteile (einstmals) neuer Waffensysteme (z.B. den Leopard II oder die F-16) und möglicher neuer Kommandostrukturen, über die vermuteten Vormarschrichtungen der Roten Armee, die notwendige Kriegsführung im Weltraum und die logistischen Probleme, denen sich die kriegsführenden Staaten gegenüber sehen werden. Insofern herrscht in dem Werk ein referierender Ton vor, nur selten montiert Hackett Erzählungen von Soldaten ein, die als fiktive Augenzeugenberichte zum einen den Dokumentarcharakter des Buches unterstreichen und zum anderen die abstrakten Überlegungen anhand konkreter Beispiele deutlich machen. Und nicht zuletzt veranschaulichen sie auch die Schrecken des Krieges ohne reißerisch zu wirken. Denn auch diese Sequenzen werden durch den äußerst sachlichen und nüchternen Ton bestimmt, der dem ganzen Werk eigen ist.
Beurteilung
An einigen Stellen ist das von Hackett entworfene Szenario rasend schnell veraltet. So kämpft beispielsweise der Iran 1985 noch an der Seite der U.S.A. Trotzdem wirkt das gesamte Geschehen äußerst glaubwürdig, zumal der ehemalige General die politische Lage in Polen, Ungarn, der Tschechoslowakei und Jugoslawien Mitte der 80er beeindruckend gut antizipiert hat. Auch die schwindende innere Stabilität des Warschauer Paktes und der U.D.S.S.R im Verlauf der 80er Jahre, die hier der eigentliche Auslöser für den Krieg ist, wird vorweggenommen. Allerdings muss man sagen, dass das Szenario schon damals durchaus anfechtbar war – die sich in weiten Bereichen immer unterlegen fühlende U.D.S.S.R. hatte 30 Jahre lang auf das Führen eines konventionellen Krieges verzichtet, weil dieser die Existenz der Sowjetunion – auch aufgrund der sehr glaubwürdigen nuklearen Abschreckung der U.S.A. – gefährdet hätte. Dass sie diesen nun plötzlich vom Zaun zu brechen bereit ist, erscheint eher überraschend. Um ein solches Szenario wahrscheinlich zu gestalten, bedarf es schon einer ganzen Menge von Verwicklungen. In der Dokumentation Der Dritte Weltkrieg von Guido Knopp aus dem Jahr 1998, die sich deutlich bei Hackett zu bedienen scheint, gelingt dieses nur über die teilweise Unzurechnungsfähigkeit des Generalsekretärs des ZK der KPdSU. Ob es trotz verstärkter Rüstungsbemühungen, wie Hackett sie anstrebt und Reagan sie durchgesetzt hat, tatsächlich gelungen wäre, die Truppen des Warschauer Paktes vor dem Rhein zu stoppen und so eine Auflösung des Atlantischen Bündnisses zu verhindern, ist allerdings eine Glaubensfrage.
Fazit
Der Dritte Weltkrieg von Hackett ist nicht als literarisches Werk im herkömmlichen Sinne intendiert gewesen und kann dementsprechend auch nicht anhand der üblichen Kriterien bewertet werden. Wer sich vor ausführlichen Schlachtenbeschreibungen, geopolitischen und innenpolitischen Analysen sowie der umfassenden Entfaltung strategischer Planungen nicht scheut, der wird in Der Dritte Weltkrieg ein hochinteressantes Werk finden. Wer allerdings ‘nur’ eine spannende Geschichte erwartet, der wird vermutlich sowohl enttäuscht als auch durch die zahlreichen Details gelangweilt werden. In diesem Falle sollte man vielleicht erwägen, zu dem zwar qualitativ sehr schwachen, nichtsdestotrotz thematisch aber interessanten Roman von Hans Hellmuth Kirst Keiner kommt davon. Bericht von den letzten Tagen Europas zu greifen.
Wer sich für das Buch und seine Aufnahme durch die Öffentlichkeit interessieren sollte, der findet in einem interessanten Artikel des Spiegels vom 30. Oktober 1978 zum Erscheinen des Buches viele weitere Informationen.