Philip Roth: Verschwörung gegen Amerika

Die U.S.A. auf Abwegen: Philip Roths „Verschwörung gegen Amerika“. Eine Rezension von Rob Randall

In seinem Roman Verschwörung gegen Amerika lässt Philip Roth seine gleichnamige Hauptfigur resümieren: Im Rückblick betrachtet, war das schonungslose Unvorhergesehene das, was wir Kinder in der Schule als „Geschichte“ lernten, harmlose Geschichte, wo alles Unerwartete zu seiner Zeit als unvermeidlich verzeichnet wird. Den Schrecken des Unvorhergesehenen lässt die Geschichtswissenschaft verschwinden, indem sie eine Katastrophe zu einem Epos macht. Und damit legen Autor und Protagonist den Finger auf eine offene Wunde der historischen Wissenschaftwelche sich üblicherweise verbietet, den unsicheren Pfad des Was-wäre-gewesen-wenn zu beschreiten und Geschichte zu einer trügerischen Erzählung macht, die ganz und gar von dem Gesetz der Notwendigkeit diktiert zu sein scheint: Es gibt keinen anderen Weg, als jenen, den der Verlauf der Ereignisse tatsächlich genommen hat.

Und da dieser Verlauf letztendlich von Menschen bestimmt wird, bieten sich Ereignisse um wichtige historische Persönlichkeiten besonders an, um den Zug der Geschichte auf ein anderes Gleis fahren zu lassen. In Roths 2004 erschienenem Roman ist die US-Präsidentenwahl von 1940 die Weiche, welche den jungen Protagonisten Philip Roth und seine amerikanisch-jüdische Familie auf eine historische Alternativstrecke schicktan deren Ende einer jener Bahnhöfe stehen kann, die zum Inbegriff der Schrecken des 20. Jahrhunderts geworden sind: Der auch für seine antisemitischen Äußerungen bekannte und sich in der isolationistischen Bewegung America first comittee engagierende Testpilot und Atlantiküberquerer Charles Lindbergh (siehe Bild) gewinnt die Abstimmung gegen den amtierenden Präsidenten Franklin Delano Roosevelt – die U.S.A. unterstützen in Folge dessen auf ihrem isolationistischen Kurs das Commonwealth in seinem Kampf gegen Nazi-Deutschland nicht, sondern erkennen die Vorherrschaft Japans und Deutschlands in Europa und in Asien an und beginnen Maßnahmen einzuleiten, die sich gegen die jüdische Bevölkerung zu richten scheinen.

Mein Vater behauptete, Land und Leute seien die erste Stufe von Lindberghs Plan, jüdische Kinder von ihren Eltern zu trennen und die Solidarität der jüdischen Familie zu untergraben, und Tante Evelyn deutete nicht allzu zartfühlend an, die größte Befürchtung eines Juden vom Typ ihres Schwagers sei die, dass seine Kinder dem Schicksal entgehen könnten, so engstirnig und verängstigt durchs Leben zu laufen wie er selbst.

Der Ich-Erzähler berichtet darüber, wie angesichts der politischen Entwicklungen unter den amerikanischen Juden nicht nur Empörung ausbricht, sondern sich nach und nach eine panikartige Stimmung breitmacht, die durch die militärischen Entwicklungen in Europa und der zunehmenden außenpolitischen Annäherung der U.S.A. an die Achsenmächte nur noch verstärkt wird. Auf der anderen Seite registriert er auch eine zunehmende Zahl von Juden, welche die Politik Lindberghs zu unterstützen beginnen. Die Auseinandersetzungen über die Person Lindberghs und seine Politik dringen hierbei bis in den familiären Bereich vor: Während der Vater des Erzählers übersensibel beständig jede mögliche antisemitische Beleidigung seitens der Umwelt registriert und Lindbergh geheime Pläne gegen die jüdische Bevölkerung unterstellt, engagiert sich sein älterer Bruder für die Regierung. Seine Tante Evelyn will sogar den Sprecher dieser  jüdischen Unterstützergruppe ehelichen (was sie später auch tatsächlich tut). Eine besondere Belastungsprobe stellt für die Familie zudem die Rückkehr des verstümmelten Cousins Alvin aus Kanada dar, welcher als Kriegsfreiwilliger die U.S.A. verlassen hatte, um gegen Hitler zu kämpfen, und nun verbittert nicht mehr in die Gesellschaft zurückfindet. Er führt den Gegnern Lindberghs die Folgen eines möglichen militärischen Engagements der Vereinigten Staaten konkret vor Augen. Der kindliche Ich-Erzähler versucht dabei beständig, die komplizierten Vorgänge um sich herum zu verstehen, wobei ihn häufig Irritation und Ratlosigkeit überkommen, zumal er selbst nicht weiß, welche Position er selbst vertreten sollte. Aber an den Herausforderungen – vor allem an seinem Einsatz für den kriegsversehrten Cousin  – beginnt er (wenigstens teilweise) zu wachsen

Die Zeichung des Amerikas der 30er und 40er Jahre wirkt auf mich sehr plastisch und in sich glaubhaft. Der Grund hierfür dürfte nicht nur in den schreiberischen Fähigkeiten Roths zu suchen sein, sondern auch in der Tatsache, dass der Autor abgesehen von der kontrafaktischen politischen Lage das Newark seiner Kindheit schildert, wo man durchaus Erfahrungen mit dem Antisemitismus machen konnte [Quelle: Interview Roths in der ZEIT]. Inwiefern die Stärke des von Roth beschriebenen Antisemitismus den Tatsachen entspricht, konnte ich aber leider nicht feststellen. Betrachtet man die historisch verbürgte Stimmung in den U.S.A. am Vorabend des Zweiten Weltkrieges, so ist festzustellen, dass die meisten US-Bürger nicht nur eine isolationistische Haltung vertraten, sondern ein Drittel sogar jede materielle oder finanzielle Unterstützung kriegführender Mächte ablehnte. Erst der mit dem deutschen Überfall auf Polen einsetzende Meinungsumschwung führte spätestens nach der Niederlage Frankreichs, Dänemarks, Norwegens und Belgiens dazu, dass Hitler als eine Gefahr für die ganze Welt betrachtet wurde – woraufhin die unter Antisemitismusverdacht stehende isolationistische Bewegung an Boden verlor [Quelle: Macrohistory and World Report]. Da aber auch die Haltung Roosevelts die Stimmung in den U.S.A. maßgeblich bestimmte, scheint das von Roth entworfene Szenarion zumindest zu Beginn durchaus im Bereich des Möglichen zu liegen.

Vielfach ist vermutet worden, der Roman sei eine direkte Auseinandersetzung mit der Regierung BushRoth hat jedoch mehrfach eine solche Lesart seines Romanes glaubhaft geleugnet. Der Plan zum Roman entstamme der Zeit der Präsidentschaft Clintons [Quelle: Wikipedia]. Insofern ist der Roman ‘nur’ als ein gedankliches Experiment und nicht als eine Parabel auf das Amerika nach den Anschlägen vom 11. September 2001 zu lesen. Tatsächlich deutet darauf im Roman auch nichts hin.

Roth gelingt es, den Leser lange Zeit im Unklaren darüber zu lassen, ob die von der Regierung Lindbergh ergriffenen Maßnahmen tatsächlich eine antisemitische Zielsetzung verfolgen. Erst im letzten Drittel werfen die sich zuspitzenden Ereignisse Licht auf die Pläne der Exekutive (obwohl auch dieses im Anschluss leider sofort wieder relativiert wird). Hierdurch wird der Leser durchaus gefesselt, auch wenn der Erzählerstandpunkt, der Jahrzehnte in der Zukunft liegt, deutlich macht, dass der Protagonist mit dem Leben davon gekommen ist.

So gut mir die ersten zwei Drittel des Romanes gefallen haben, so wenig können mich die letzten 150 Seiten überzeugen. Die Lösung des Problems ergibt sich nicht aus dem Gang der Handlung, sondern (so ist zumindest sehr stark zu vermuten) aufgrund eines Zufalles. Und selbst wenn dieses nicht so sein sollte, erscheint die Alternativerklärung in einer haarsträubenden Weise konstruiert. Auch wenn diese Tatsache der persönlichen Auffassung des Autors über historische Abläufe geschuldet sein mag, literarisch überzeugen tut das nicht. Ebenso unbefriedigend und unmotiviert erscheint mir, dass sich die U.S.A. – wenn auch verspätet – am Ende wieder in das  Fahrwasser der uns vertrauten Geschichte manövrieren lassen. Der Bruch zur vorhergehenden, über knapp 300 Seiten aufgebauten Handlung ist einfach zu stark. Die im Anschluss gerade noch so abgehandelten persönlichen Erlebnisse des Protagonisten, der sich im Übrigen doch leider recht wenig weiterentwickelt, erscheinen da beinahe wie ein Anhang (dankbarerweise hat der Schriftsteller übrigens auch einen solchen dem Roman beigefügt, so dass der Leser die Lebensläufe der historischen Figuren und Texte von Charles Lindbergh im Vergleich zu Rate ziehen kann).

Fazit

Verschwörung gegen Amerika ist ein zumindest zu Beginn starker Roman, der leider im letzten Drittel so stark nachlässt, dass man ihn nicht mehr wirklich empfehlen kann. Und das ist wirklich schade.

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