Carl Amery: Der Untergang der Stadt Passau

Eine Rezension von Rob Randall

Wenn einem der Name Carl Amery heute nichts mehr zu sagen vermag, so kann dieses an zwei Dingen liegen: Zum einen ist er das Pseudonym des deutschen Autors Christian Anton Mayer (Amery ist übrigens ein aus seinem Nachnamen gebildetes Anagramm), der immerhin Mitglied der Gruppe 47 um Hans Werner Richter und eine ganze Weile der Präsident des deutschen PEN-Zentrums war. Zum anderen ist der 1975 erschienene  Roman Der Untergang der Stadt Passau, den der selbst aus Passau stammende Mayer im Vorwort als reine Fingerübung bezeichnet, schon sein bekanntestes literarisches Werk. Nun kann ein solcher Kommentar eines Autors zu dem eigenen Kunstwerk ja durchaus Understatement sein – und man muss nicht gleich damit rechnen, bloßes ‘Geschreibsel’ vor sich zu haben, zumal dieser hier betont, dass Walter M. Millers Lobgesang auf Leibowitz ihn zur Fertigstellung und Veröffentlichung des Romans im Heyne-Verlag bewogen habe. Insofern war am Anfang zumindest noch alles möglich.

Endzeit: Deutschland nach der Seuche

Der Roman spielt im Jahre 31 APP – das will sagen: Im Jahre 2013 und somit im einundreißigsten anno post pestilentiam, im Jahr nach der schrecklichen Seuche, welche die Erde in kürzester Zeit entvölkert hat. Zwei Rosenheimer Gesandte befinden sich auf den Weg zu der anscheinend prosperierenden Stadt Passau, da sie das Gerücht gehört haben, dass dort auf den Mauern wieder elektrisches Licht brenne. Während Luis, der Ältere der beiden, so etwas noch aus der Zeit DAVOR kennt, sind Marte, seinem Ziehsohn, sowohl das urbane Leben als auch technische Geräte (von Waffen einmal abgesehen) gänzlich unbekannt. So ist es auch kein Wunder, dass er sowohl von der Stadt, als auch von der Schönheit der jungen Adda geblendet ist. In Passau empfängt sie der wie ein Monarch regierendeBergmannssohn Erich Schymnanski, nun von allen nur Scheff genannt, der seit Jahren versucht mit allen ihm zu Verfügung stehenden Mitteln, Teile der zivilisatorischen Errungenschaften der Menschheit zu retten. Dazu gehört leider auch, dass die Passauer nicht nur die noch nicht gänzlich verlassenen Siedlungen in der Umgebung zerstören und die Einwohner auffordern, nach Passau zu kommen. Zudem muss sich Passau, wie jede größere Siedlung, von den in der Nähe erzeugten landwirtschaftlichen Produkten ernähren – doch auf die Bauern, die Bauernfünfer, blicken sie nur überheblich herab. Dieses gilt besonders für Hasso, den Sohn des Scheffs und somit  Prinz von Passau. So ist es nur allzu verständlich, dass sich die Stadt mit ihrer arroganten Haltung im Umland viele Feinde gemacht hat. Luis, der noch in der Zeit DAVOR viele Disziplinenstudiert hat und mehrere Sprachen spricht- und eben kein tumber Bauer ist –  wird sich darüber, was er von der Stadt und ihrem Scheff halten soll, irgendwie nicht sicher. Aber immer mehr gewinnt der gewitzte heimliche Anführer der Rosenheimer den Eindruck, dass der freundliche Empfang und die überreichliche Bewirtung nur davon ablenken sollen, dass Passau etwas gegen seine Leute im Schilde führt – und dann geraten auch noch Marte und Hasso in einem für einen der Kontrahenten tödlich endenden Streit um die begehrenswerte Adda aneinander.

Bericht vom Glaubenskrieg

Der Roman verfügt über drei erzählerische Ebenen. Die wichtigste und umfangreichste davon ist mit Abstand diejenige, der auch der oben wiedergegebene Inhalt angehört. Diese durchgehend auktorial erzählte Handlung des Jahres 31 post pestilentiam wird immer wieder unterbrochen von einer – in Fraktur abgedruckten – Chronik des Egid, welche über eine im Jahre 131 post pestilentiam, also 2112 n.Chr, geschlagene Schlacht zwischen der ‘sündigen’ Stadt Passau und den Rosenheimern sowie den mit ihnen verbündeten Ungarn des Imre berichtet. Zudem lässt es sich Mayer nicht nehmen, in einer dritten Ebene Hintergrundinformationen einfließen zu lassen, die in unterhaltsamer Weise das Leben der Hauptfiguren in der Zeit DAVOR beleuchten. Auf diese Weise erfährt der Leser auch, dass Luis durchaus ein belesener Mann ist und dass Erich Schymnanski aus einfachsten Verhältnissen stammt.

Postapokalyptischer Sprachwandel

Diese Erzählstruktur ist schon ungewöhnlich – aber sie erfüllt ihren Zweck: Die Erzählung des Egid ist zwar aufgrund der deutlich an mittelalterlichen Chroniken orientierten Sprache manchmal nicht ganz mühelos zu lesen, aber sie baut mit der Vorausdeutung, dass es nach dem Besuch der beiden Gesandten ewige Feindschaft zwischen den Passauern und den Rosenheimern gegeben hat, Spannung auf – wenn auch nicht gerade viel. Die sprachlichen Veränderungen, welche die Chronik des Egid dabei aufweist, deuten sich auch schon in der Sprache der auf der Haupterzählebene handelnden Figuren an. Nicht nur, dass Mayer hier die lokalen Dialekte aus der Zeit DAVOR parodierend imitiert, er gestaltet die Sprache auch teilweise bis zum Misslingen der Kommunikation der Menschen untereinander aus: „Wir san kein Dorf. Wir san Rosnemer. Wir haben – sagte er gestelzt – von der Herrlichkeit der Stadt gehört.“ […] „Von weither, was?“, fragte er, jetzt etwas freundlicher. „Na schön. Was ist das – Rosnem?“ Das ist – das muss man zugeben –  für einen Norddeutschen manchmal nicht ganz angenehm zu lesen. Zudem kostet es auch Mühe, sich durch längere Dialoge jenseits der anscheinend schon im ‘Niedergang’ befindlichen deutschen Standardsprache zu lesen. Amüsant ist es aber trotzdem.

Fazit

Die Fingerübung Carl Amerys, ist tatsächlich kein Meisterwerk, sie bietet aber mit ihren 128 Seiten einen Nachmittag lang unterhaltsame Kurzweil, wenn sie auch zu konstruiert erscheint.

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