Eine Rezension von Rob Randall
2009 erschien unter einem zwar nicht ganz neuen, aber sehr vielversprechenden Titel Karl Olsbergs letzter Thriller: Schwarzer Regen. Ebenso wie das berühmte Werk Kuroi ame des japanischen Autors Masuji Ibuse aus dem Jahr 1965 schildert der Roman die schrecklichen Folgen einer Kernexplosion für die Bewohner einer Stadt. Doch diesmal wird die Atombombe nicht von den U.S.A. über Hiroshima abgeworfen, sondern von Terroristen in Karlsruhe zur Detonation gebracht.
Das Buch wurde von Olsberg in drei Teile gegliedert: Im ersten Teil (t-) führt der Autor seine zahlreichen Figuren ein und schildert ihr alltägliches (erfülltes und unerfülltes) Leben, im zweiten (t0) steht der verheerende Anschlag und das Erleben desselben durch die Figuren im Mittelpunkt. Die hohe Zahl der im Vorfeld eingeführten Personen ermöglicht es Olsberg dabei, die Katastrophe und ihren Ablauf facettenreich, detailliert und eindringlich darzustellen. Im dritten und letzten Abschnitt (t+) werden die drastischen psychischen, physischen und gesellschaftlichen Auswirkungen des Terroranschlages betrachtet. Hier entfaltet sich auch erst die Handlung, die den Roman zu einem Thriller macht.
Trotz der hohen Anzahl von Figuren lassen sich drei ausmachen, die für die Handlung, insbesondere für den Abschnitt t+ von besonderer Bedeutung sind: Zum einen ist dies Corinna Faller, eine Boulevardjournalistin, die – da sie aufgrund eines misslungenen Interviews mit Heiner Benz, Milliardär und bester Werbekunden ihres Magazins, in Ungnade gefallen ist – über die ‚langweiligen‘ Demonstrationen von Muslimen gegen das letzte Urteil des Bundesverfassungsgerichts berichten muss und sich deshalb auch in Karlsruhe befindet. Sie begreift den Anschlag zuerst nur als eine Chance für ihre Karriere – erkennt dann aber ihre eigene schreckliche Opferrolle und ist so in der Lage, die wirklichen Dimensionen des Leidens zu erfassen.
\r\nDie zweite wichtige Figur ist Lennard Pauly, der, da er vor Jahren einen mutmaßlichen Kinderschänder erschossen hat und unehrenhaft aus dem Polizeidienst entlassen wurde, nun als Privatermittler im Bereich der Industriespionage arbeitet. Weil sich aufgrund dieses einschneidenden Erlebnisses und seiner beruflichen und psychischen Folgen auch seine Ehefrau von ihm getrennt hat und er infolge dessen auch keinen Kontakt mehr zu seinem Sohn Ben hat, führt er nun ein beinahe eremitenhaftes Dasein und verbringt seine arbeitsfreie Zeit mit der irgendwie unmoralischen aber seinem Beruf durchaus angemessenen systematischen Beobachtung seiner Nachbarn. Er selbst lebt zwar selbst nicht in Karlsruhe, verliert dort aber seinen Sohn.
Die dritte Hauptfigur ist die Blumenverkäuferin Fabienne Berger, die zu den von Pauly beobachteten Nachbarn gehört und zu der sich ehemalige Polizist hingezogen fühlt. Sie lebt somit ebenfalls nicht in Karlsruhe, erlebt aber die gesellschaftlichen Folgen des Anschlages, dessen Urheber nach Aussagen der Ermittler islamistische Terroristen gewesen sein sollen, am eigenen Leib: Denn nach der Katastrophe kommt es zu einem Aufschwung rechtsradikaler Parteien, die den günstigen Zeitpunkt trickreich nutzen wollen, und damit einhergehenden fremdenfeindlichen Anschlägen. Sie selbst wird sowohl Opfer von Skinheadattacken als auch von den Racheangriffen türkischer Jugendlicher. Die deutsche Gesellschaft der steht vor der größten Belastungsprobe seit Bestehen der Bundesrepublik.
Sowohl Corinna Faller als auch Lennard Pauly beginnen im Laufe der Zeit den Verdacht zu hegen, dass der Anschlag nicht auf des Konto eines islamistischen Terrornetzwerkes – und schon gar nicht der dafür von den Behörden verantwortlich gemachten einzelnen Terrorzelle – geht. Vielmehr verdächtigen sie eine spezielle skrupellos vorgehenden rechtsradikale Partei bzw. den Milliardär Heiner Benz.
Karl Olsberg gelingt es in unterschiedlichem Maße, den Figuren Plastizität und Glaubhaftigkeit zu verleihen. Vor allem die Hauptfiguren sind natürlich charakterlich liebevoll ausgestaltet, die psychischen Folgen der erschütternden Katastrophe für sie sind nachvollziehbar und lassen den Leser mitleiden – auch wenn dieser Aspekt aufgrund der sich im dritten Teil immer stärker in den Vordergrund schiebenden Thriller-Handlung nach und nach in den Hintergrund tritt. Die weiteren Figuren genießen nicht eine solche Aufmerksamkeit und geraten manchmal etwas dünn – dieses ist beispielsweise bei Lennards Sohn Ben der Fall. Dieses ist aber auch der relativ großen Anzahl von Figuren bei einhergehender Beschränkung des Umfanges des Romans (auf 400 Seiten) geschuldet.
Nicht ganz so insgesamt glaubwürdig erscheinen die von Olsberg geschilderten gesellschaftlichen Folgen – denn leider beschränkt er sich alleine auf den Aspekt des Rachegedankens und die damit einhergehenden oben geschilderten Entwicklungen. Ich habe im dritten Teil eine weitergehende Ausgestaltung der ‚postnuklearen‘ Bundesrepublik – wie eigentlich auch zu erwarten wäre – vermisst. Eine solche Schilderung hätte durchaus zur Glaubwürdigkeit der vom Autor dargestellten Entwicklung beitragen können, denn insgesamt wirkt sie in ihrer Vereinzelung zu platt und oberflächlich. Ich hätte dafür auch eine weniger umfangreiche Thriller-Handlung in Kauf genommen – vermutlich meinte der Autor, den Leseerwartungen seines Publikums so entgegen kommen zu können. Ich bin aber der Ansicht, dass darunter die Qualität des Romanes durchaus gelitten hat.
Völlig ratlos lassen mich einzelne Aspekte der Handlung: Wie zum Beispiel die Tatsache, dass Fabienne Berger ständig mit Tarotkarten hantiert und eine mit angeblich besonderen Fähigkeiten versehene Großmutter konstruiert wird, um Fabienne Bergers sich in den Karten manifestierenden Befürchtungen und Ängsten Glaubwürdigkeit zu verleihen – oder der Nostradamus-Experte der mit einer neuen Dechiffriermethode aus den Centurien des französischen Sehers Unglaubliches liest und deshalb die Behörden vor dem Anschlag zu warnen versucht. Und obwohl gnädigerweise offen bleibt, ob die beiden Esoteriker tatsächlich in der Lage sind, in die Zukunft zu sehen, wirken die Teile der Handlung einfach wie Fremdkörper in einem Roman wie diesem. Vor allen Dingen tragen sie wirklich nichts zu Handlung bei und hätten außen vor bleiben müssen.
Fazit:
Der 400-Seiten-Roman ist nicht das „Meisterwerk“, wie vom Aufbau Verlag beworben, aber mit den oben gemachten Abstrichen immer noch gut und spannend zu lesen.
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